HIrzberger - © Foto: Furche

Brief #78: Aussehen ist und bleibt ein Kapital

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Über Bildungsarbeit durch Formate wie "Bachelorette" und das Annehmen des Alters.

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Lieber Herr Gaisbauer!

Dass Ihre Familie Ihre Briefe liest und kritisch hinterfragt, finde ich sehr wertschätzend. Und ich gestehe: Auch ich bin im ersten Moment auf das ­Argument, Sie sollten Ihre eigene Welt erklären und nicht popkulturelle Phänomene wie brat bewerten, aufgesprungen. Allerdings will ich fair bleiben: Auch wenn diese Kulturerscheinung ziemlich weit von Ihnen entfernt ist, hat sie Ihre Welt ja doch irgendwie berührt. Glücklicherweise hat die Sängerin Charli XCX aber vor Kurzem den Brat Girl Summer für offiziell beendet erklärt – und damit können auch wir uns anderen Themen widmen.

Zum Beispiel der aktuellen „Bachelorette“, meinem persönlichem ­Guilty Pleasure. Kennen Sie dieses Dating­-Reality-TV-Format? Zehn Jahre lang hat hier eine norm­schöne, hetero­sexuelle Frau unter zahlreichen Kandidaten nach ihrem Traummann gesucht. Es war ein bisschen „Barbie sucht Ken“, um ehrlich zu sein. Da die Sendung mir zu oberflächlich war, habe ich sie auch nicht wirklich verfolgt. Doch heuer gibt es zum ersten Mal eine queere Bachelorette, die nicht nur Kandidaten, sondern auch Kandidatinnen datet. Etwas so Spannendes habe ich lange nicht mehr gesehen. Gut, vielleicht übertreibe ich ein wenig, aber es ist wirklich beeindruckend, wie in einem Reality-Format so viel Bildungsarbeit geleistet werden kann.

Vor allem die queeren Frauen übernehmen diese Rolle und konfrontieren die – sagen wir – „traditionellen“ Männer, die anfangs dachten, die Frauen seien allein für sie in die Villa eingezogen. Überfordert von der Information, dass die Bachelorette bisexuell ist, bildete die Mehrheit der Männer eine Einheit und fühlte sich hintergangen. Wie konnte es nur passieren, dass sie für die ­„politisch-korrekte Staffel“ gecastet wurden? Dafür hatten sie nicht unterschrieben! Doch in der ersten „Nacht der ­Rosen“, an dem Abend, an dem die Bachelorette zu ihren Kandidatinnen und Kandidaten in die Villa kommt, um am Ende Teilnehmende aus der Sendung zu werfen, verstummte der maskuline Protest. Der Grund: die strahlende Erscheinung der wunderschönen Bachelorette – gutes Aussehen ist und bleibt eben auch ein Kapital.

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