Europäisches Forum Alpbach 2023, EFA23 - © EFA / Elisabeth Mandl

Spaziergang durch Alpbach

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Viel wird in diesen Wochen über das Europäische Forum Alpbach geschrieben. Darüber, was hier besprochen wird, wer hier zu Gast ist. Doch wer blickt auf das Dorf selbst? Ein Spaziergang in Forumszeiten.

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Viel wird in diesen Wochen über das Europäische Forum Alpbach geschrieben. Darüber, was hier besprochen wird, wer hier zu Gast ist. Doch wer blickt auf das Dorf selbst? Ein Spaziergang in Forumszeiten.

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Das Dorf heißt „Alpbach“. Es liegt an dem Bach namens „Alpbach“. Dieser verläuft durch das Alpbachtal. Der Name Alpbach kommt aber nicht vom Bach, obwohl ein Ortsteil Alpbachs „Bach“ heißt. Alpbach kommt von der „Alp“ im Sinne von Alm. Das Kollektivsuffix „-ach“ weist auf die Vielzahl der Almen in der Gegend hin. Das schreiben Peter Anreiter, Christian Chapman und Gerhard Rampl im Buch „Die Gemeindenamen Tirols“. Trotzdem ziert ein Bach das Alpbacher Wappen. Andere Ortsteile heißen Moos, Feilmoos, Innerneader, Außerneader, Haus, Lagerhaus, Dörfl und Außerland. Namen, die Abgeschiedenheit versprechen.

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Das Dorf liegt 975 Meter über der Adria und verläuft entlang einer einzigen Hauptstraße, sie mündet aus der Landesstraße 46. Die meisten anderen Straßen stellen sich früher oder später als Sackgassen heraus oder führen zu einem Wanderweg. Postler dürften es hier eher schwierig haben: Alle Straßen tragen den selben Namen „Alpbach“. Die Nummern sind zum Teil nicht in der Reihenfolge der Häuser vergeben. Die Hauptstraße verläuft großteils von Westen nach Osten, und zwar talaufwärts.

Wir beginnen unseren Spaziergang unten im Westen. Hier, an der Adresse Alpbach 670, 6236 Alpbach, liegt die Mittelschule des Orts, wo im Rahmen des Europäischen Forums zahlreiche Veranstaltungen stattfinden, allen voran wird die Schule momentan für die verschiedenen Seminare genutzt.

Karl Popper im Supermarkt

Weiter geht es zum lokalen Spar. Ihn zeichnen während der Forumszeit immer wieder leere Regale aus. Dabei kommt es aber nicht zu einem allgemeinen Mangel, kalkuliert ja die Filiale mit der erhöhten Nachfrage während des Forums. Der Mangel tritt viel mehr punktuell auf: Heute sind sieben der neun Tomatenkisten völlig leer. Die Klassiker unter den ausverkauften Lebensmitteln sind Nudeln und Pesto. Studenten essen auch im Bergdorf wie Studenten. Die Schlange an der Kassa ist lang. Eine ältere Alpbacherin sagt zur anderen „Do gehts jo ob“. Die andere Wartende antwortet: „Zwoate Kassa gibts boa uns nie.“ Wenig später wird ihre Hypothese falsifiziert, wie Alpbach-Legende Karl Popper formulieren würde. Eine Mitarbeitern öffnet die "zwoate" Kassa.

Nun erst, nach dem Spar, begrüßt uns das Dorf ganz offiziell. Und nicht ohne stolz: „Europadorf Alpbach“ steht über einem goldenen EU-Sternenkreis auf einem Stein. Daneben die Aufschrift: „Schönstes Dorf Österreichs. Schönstes Blumendorf Europas.“ Unter den Begrüßungssteinen kann man auf einer kleinen Bank Platz nehmen, zwischen rot und weiß blühenden Blumen. Daneben zwei Fahnenstangen: Es wehen die weiß-grüne Alpbacher Flagge, und die blaue Europas.

Und noch einige Meter weiter oben grüßt – wenn auch nur Temporär – das Forum. Auf einem Banner, aufgespannt über der Hauptstraße, steht in schwarzer Schrift auf weißem Hintergrund: „Welcome to the European Forum Alpbach“ und in dicken Lettern die Abkürzung „EFA“. Als wir unter dem Banner des Europäischen Forums durchspazieren, kommt uns von oben ein roter Traktor entgegen, der Baumstämme im Anhänger zieht. Alpbach: Europa und Dorf. Traditionellerweise hören die mit dem Auto anreisenden Stipendiaten bei der Einfahrt unter dem Banner die Europahymne.

Weiter führt die Straße vorbei am Feuerwehrhaus, wo gerade ein „Speed Friending“ stattfindet: Speed Dating für Freundschaften. Pro Begegnung bleiben einem hier nur wenige Minuten, über den ersten Eindruck hinaus wird kein Gespräch führen. Doch wer gemeinsame Interessen entdeckt, kann diese ja später im Gasthof „Jakober“ vertiefen.

Dörfliche Dreifaltigkeit: Gemeindeamt, Kirche, Gasthaus

Wir gehen weiter aufwärts. Die Landestraße 46, genannt Alpbach, macht jetzt eine scharfe Rechtskurve um die Raiffeisenbank herum. Von links fließt die zweitgrößte Straße Alpbachs dazu, namentlich unterscheidet sie sich freilich nicht. Dieser Verkehrsknotenpunkt wurde mit einer Bushaltestelle gewürdigt, die nach dem Geldinstitut an der Kurve „Alpbach Raika“ benannt ist.

Wenige Meter weiter östlich vollendet die Sparkasse die örtliche Bankenvielfalt. Danach geht es weiter ins Zentrum, mitten in die dörfliche Dreifaltigkeit aus Kirche, Gemeindeamt und Gasthaus Jakober. Hier auf der breiten Straße, die als Hauptplatz fungiert, feuerten die Schützen ihre Salve zur Eröffnung des Forums. Hier spielt Freitags die Blasmusik. Hier wird getauft, geheiratet, begraben. Im Gemeindeamt gibt es für Forumsteilnehmer nichts zu sehen. In den Jakober wird uns noch jeder Abend führen, hier tanzen nachts Studenten, Minister und Professoren wie Gleiche unter Gleichen.

Papst Franziskus grüßt in der Alpacher Kirche

Wir gehen in die Kirche, die Pfarrkirche zum heiligen Oswald. Ihre Decke zieren Malereien, barocke Himmel. Von der Kanzel hängt ein Plakat mit einem Foto von Papst Franziskus. Daneben sein Zitat: „Man kann nicht Teilzeit-Christ sein! Versuchen wir, unseren Glauben jeden Tag, immer und überall zu leben.“ Papst Franziskus wird in wenigen Tagen am Forum sprechen – per Videozuschaltung. Der gläubige Forumsteilnehmer kann das päpstliche Zitat als persönliche Aufforderung lesen. „Jeder Tag, immer und überall“… auch im Ausnahmezustand, den die Forumsteilnahme bedeutet.

Wir verlassen die Kirche und treten auf den Friedhof. Die Gräber sind schön gepflegt. Diesen Gottesacker zeichnen zwei Besonderheiten aus: Der Boden ist durchgängig aus Kies, Gras gibt es nicht, und einer der hier ewig ruhenden ist der Physiknobelpreisträger Erwin Schrödinger. Sein Grab liegt in einer der ersten Reihen, größer oder auffälliger als andere ist es nicht. Unter seinem Namen stehen die Lebensdaten „* 12. VIII. 1887 + 4. I. 1961“, darüber ist eine schwarze, runde Tafel aus Metall angebracht, auf der in weißen Lettern eine verkürzte Form von Schrödingers Gleichung steht. Kirche und Friedhof: Drinnen der Glaube Franziskus’, draußen die Wissenschaft Schrödingers. Dass Schrödinger in Alpbach begraben liegt, ist kein Zufall, er war regelmäßiger Forumsgast.

Erwin Schrödinger ruht am Alpbacher Friedhof

Wir gehen weiter und erreichen den Böglerhof, in dem Schrödinger viele Stunden verbracht haben dürfte. Denn hier im Böglerhof wurde 1945 das Forum Alpbach gegründet. Von Otto Molden und Simon Moser, und damals noch unter dem Namen „Internationale Hochschulwochen des Österreichischen College“. Auf die Gründung weist an der Wand des Böglerhofs eine Gedenktafel hin, die 1974, zum 50. Forum angebracht wurde. Auf ihr steht ein Zitat von Antoine de Saint-Exupery: „Nur der Geist, wenn er den Lehm behaucht, kann den Menschen erschaffen.“

Gegenüber dem Böglerhof steht seit 2020 in der Wiese eine braune, eiserne Figur, der „Mahn-Fried“. Gefertigt hat sie der Bildhauer und Pastiker Christian Moschen. Der eiserne Mann deutet mit der rechten Hand tatsächlich mahnend, den Zeigefinger leicht erhebend. Anbei steht eine Tafel mit der Überschrift „Zukunft der Gesellschaft“, darunter einige Zeilen aus der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die jedoch (zur Mahnung?) abgeschnitten sind. Der Ernst der Warnung wird entschärft, wenn wie während dem Forum üblich, dem eisernen Mann ein Weinglas in die mahnende Hand gelegt wird.

Mahnung und Menschenrecht

Neben dem Mahn-Fried liegt die Bushaltestelle „Alpbach Böglerhof“, die für die Stipendiaten von besonderer Relevanz ist. Erstens sind nicht alle Forumsteilnehmer im Kernort Alpbach untergebracht, manche müssen täglich mit dem Bus an- und abreisen. Sie steigen hier aus und gehen nur wenige Meter zum Kongresszentrum. Zweitens fährt hier der Linienbus ab, der in einer der Forumsnächte die partyfreudigen Gäste nach Inneralpbach, genauer gesagt zur Festhütte bringt, wo gemeinsam in einem Partystadl gefeiert wird. Bei der Rückfahrt im völlig überfüllten Bus wird traditionellerweise die Internationale angestimmt. Nur passend also, wenn die Partyhorde nach der Liedzeile „erkämpft das Menschenrecht“ wieder am Menschenrechte-Mahn-Fried aussteigt. Ob sich die angeschwipsten Heimkehrer der Symbolik bewusst sind, steht auf einem anderen Blatt.

Wir wechseln die Straßenseite und kommen zum Congress Center Alpbach, kurz CCA. Es liegt großteils im Hügel unter einer Wiese. Auf der Wiese halten Soldaten des Bundesheers ein Seminar über Führung und Entscheidungsfindung ab. Als wir über die Wiese spazieren, machen die Seminarteilnehmer gerade Liegestütz. Angrenzend steht die Talstation eines kleinen Skilifts. Im Ort und überhaupt im Alpbachtal gibt es unzählige Seilbahnen und Gondeln. Spuren des Wintertourismus, der hier übrigens finanziell weit wichtiger ist als das Europäische Forum. Auf einer der Gondeln findet im Rahmen des Forums die Kennenlernveranstaltung „Fremde auf der Gondel“ statt, wieder ein Format, um schnell Freunde zu finden.

Der Eingang des CCA liegt ebenerdig zur Straße hin. Die Front besteht aus Glas und Holz. An der Straße stehen einige gewidmete Bäume, vor einem steht auf einer Tafel „ÖAGG Internationales Gruppendynamik Trainingsseminar 1967 - 2005.“ Als Forumsteilnehmer vergisst man leicht, dass es hier an den 50 Wochen des Jahres, an denen nicht das Europäische Forum stattfindet, auch ganz andere Veranstaltungen abgehalten werden.

"Achtung, Kuh!"

Eine Seitenstraße weiter unten steht die Volksschule. Die Klassenzimmer sind auffällig modern ausgestattet. Im kindlich geschmückten Raum ein Seminar über Weltpolitik zu besuchen, entbehrt nicht einer gewissen Komik. Der Charme des Forums Alpbach. Nun führt uns der Weg hinaus aus dem Zentrum. Weiter oben, im Osten, stehen nur noch die traditionellen Apartmenthäuser mit ihren typischen bunten Blumentrögen. Es blüht lila, rot, weiß, alles sauber und gepflegt. Wir sind im „schönsten Blumendorf Europas“.

In einer Rechtskurve beginnt links ein Wanderweg. Einfahrt verboten steht auf dem einen Schild, ein zweites warnt vor Kühen. So mancher Stipendiat aus fernem Lande – es sind über 60 Länder am Forum vertreten – dürfte so eine Warnung noch nie gesehen haben. Der Wanderweg führt hinauf zum Gratlspitz, dem 1899 Meter hohen Hausberg Alpbachs. Im Forumsprogramm ist zu seinem Gipfel eine gemeinsame Sonnenaufgangswanderung um 4 Uhr geplant. Die Stipendiaten diskutieren, ob es sich da überhaupt lohnt, vorher schlafen zu gehen. Es ist noch jedes Jahr eine kleine Gruppe direkt vom Gasthof Jakober zur 4-Uhr-Wanderung mitgegangen.

Die Straße führt weiter, die Steigung wird steiler, nun erreichen wir das Schild „Ortsende Alpbach“. 50 Meter abwärts, hinter der Häuserzeile, parallel zur Straße, plätschert der „Dorferbach“. Von der Straße aus, in deren Apartments überall Stipendiaten wohnen, hört man ihn rauschen. Der angrenzende Ortsteil „Dorferwinkel“ besteht aus etwa einem Dutzend Häuser. Wer die Serpentinenstraße ganz hinauf spaziert, gelangt zur legendären Zottaalm. Nach 20 Minuten kommen wir verschwitzt oben an, halten inne und blicken zurück ins Tal. Links und rechts liegen Bergketten, die dichte Nadelwälder zieren, unterbrochen von saftigen Grünen Wiesen, auf denen Almhütten stehen. Im Winter wird die Wiese zur Skipiste. Wessen Blick auf den Gipfeln Kreuze sucht, der findet Bergstationen von Seilbahnen.

Der Blick fällt hinunter ins Tal, zwischen die Bergketten, auf das Dorf der Denker. Seine Schönheit versteckt das Dorf nicht, doch seine geistige Kraft kann man nicht sehen, sondern nur spüren, wenn im Gasthaus Stipendiat, Professor und Politiker in wilde Diskussionen fallen, alle geeint vom selben Ziel: Einem besseren Europa.

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