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mozaik

DISKURS
mimi - © Illu: R.M.

Fangspiel

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FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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FURCHE-Redakteurin Manuela Tomic ist in Sarajevo geboren und in Kärnten aufgewachsen. In ihrer Kolumne schreibt sie über Kultur, Identitäten und die Frage, was uns verbindet.

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Als ich in die Volksschule kam, konnte ich kein Wort Deutsch. Darum wurde ich nachmittags mit meinen Klassenkameraden Slaviša und Iwan zum Förderunterricht geschickt. Slaviša, der Slowene, war ruhig und verschreckt, Iwan, der Serbe, ein Draufgänger, vor dem sich alle fürchteten. Die Lehrerin setzte mich, die Bosnierin, zwischen die beiden Jungen, damit sie nicht rauften. Wir waren sieben Jahre alt und konnten uns nicht leiden. Wir lernten mit dem Lehrbuch „Mimi“. Sogar Iwan war konzentriert und zeigte inmitten verstaubter Overheadprojektoren und vergilbter Naturkundeplakate wahres Sprachtalent. Seine Furchtlosigkeit ließ ihn freier und falscher sprechen, während Slaviša ständig aufzeigte, um dann kein Wort über die Lippen zu bringen. Obwohl ich schüchterner war als Slaviša, war ich beim Sprechen furchtlos wie Iwan. Doch ich war auch fleißiger. Warum wir den Luxus eines Einzelunterrichts genossen, kapierte ich nicht. Am Ende des Schuljahres verabschiedete sich unsere Nachmittagslehrerin für immer. Geknickt schlurften wir auf den Pausenhof. Unsere Klassenkameraden spielten noch immer und brüllten uns zu. Der Bully Markus trug eine schwarze Armbinde. Iwan, Slaviša und ich blickten uns an. Wir rannten los. Fangspiel statt Sprachspiel.

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