Israel-Flagge, Palästina-Flagge

Philosoph Andrzej Leder: "Netanjahu ist ein Verbrecher"

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Das Vorgehen Israels in Gaza sei eine „ethnische Säuberung“, meint der polnische Philosoph Andrzej Leder. Ein Gespräch über das politische Abgleiten der israelischen Politik, Antisemitismusvorwürfe und die Proteste der Jugend.

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Das Vorgehen Israels in Gaza sei eine „ethnische Säuberung“, meint der polnische Philosoph Andrzej Leder. Ein Gespräch über das politische Abgleiten der israelischen Politik, Antisemitismusvorwürfe und die Proteste der Jugend.

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In seinem Buch „Polen im Wachtraum. Die Revolution 1939–1956 und ihre Folgen“ (2019) hat der in Warschau tätige Philosoph, Kulturhistoriker und Psychotherapeut Andrzej Leder die Geschichte seines Landes in psychoanalytischen Kategorien beschrieben. Er selbst hat jüdische Wurzeln und den Großteil seiner Familie in der Schoa verloren – distanziert sich aber, wie einst seine Eltern, vom traditionellen Judentum und übt scharfe Kritik an Israels Regierung. Mit der FURCHE sprach er über den Generationenkonflikt zur Nahostfrage, die „Amerikanisierung des Holocaust“, das kollektive Trauma vom 7. Oktober 2023 und die Zweistaatenlösung als einzig denkbare Friedensoption.

DIE FURCHE: Herr Professor Leder, der israelisch-palästinensische Konflikt besteht seit Jahrzehnten, insbesondere seit 1967 und der Besetzung des Westjordanlandes durch Israel. Er hat sich durch den blutigen Angriff der Hamas am 7. Oktober und den anschließenden Krieg Israels gegen den Gazastreifen weiter verschärft. Kann dieser Konflikt gelöst werden oder handelt es sich um einen Konflikt ohne Ende?
Leder: Vor allem handelt es sich um einen Konflikt auf mehreren Ebenen, und einige Lösungen, die auf rein politischer und militärischer Ebene erfolgreich sein mögen, werden ihn auf historischer und ideologischer Ebene nicht lösen. Es ist wahrscheinlich, dass dieser Krieg, an dem derzeit Israel und die Palästinenser im Gazastreifen beteiligt sind, letztendlich irgendwie verstummen wird. Da die arabischen Staaten im Grunde nicht gewillt sind, sich auf die Seite der Palästinenser zu stellen, sondern Israel vor dem Iran schützen wollen, glaube ich nicht, dass dieser Krieg zu einem globalen Krieg wird. Das ändert nichts an der Tatsache, dass das Problem der Vertreibung der Palästinenser bei der Gründung des Staates Israel 1948, die Art und Weise, wie sie vom modernen Staat Israel behandelt werden, und gleichzeitig die Verstrickung der palästinensischen Sache in den ideologischen Diskurs arabischer Staaten darauf hinweisen, dass der Konflikt weitergehen wird. Hinzu kommt, dass die Parole des Kampfes gegen Israel nicht nur für die arabischen Gesellschaften gilt – der Iran und die Türkei sind ja keine arabischen Staaten –, sondern auch für den militanten Islam. Solange diese Ideologie existiert, wird der Antagonismus nicht verschwinden. Das Schicksal der Palästinenser wird weiterhin schlecht und ein Druckmittel in politischen Spielen sein.

DIE FURCHE: Sie sind auch praktizierender Psychotherapeut. Wie prägt die Erfahrung des Holocaust – fundamental für die jüdische Identität und für Millionen von Menschen, die heute in Israel leben – die Einstellungen der israelischen Gesellschaft und ihre politischen Entscheidungen und Haltungen gegenüber den Palästinensern?
Leder:
Ich möchte mit zwei Situationen aus meiner eigenen Erfahrung antworten. 1987 war ich in einem der wichtigsten Museen Israels, Yad Vashem. Dort gab es eine Sonderausstellung mit Kinderzeichnungen israelischer Kinder aus jüngeren Grundschulklassen, wahrscheinlich im Alter von sechs bis zehn Jahren, die sich mit der Geschichte der Schoah befassten. Was mir damals auffiel, war, wie viele dieser Zeichnungen ein Stigma oder eine Spur von Einsamkeit und Stigmatisierung in sich trugen.

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