Israel - © Foto: pixabay

Nahost-Konflikt: Generationen, die daran zerbrechen

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Die Entscheidungsträger im Nahostkonflikt sollten sich einmal Erich Kästners "Konferenz der Tiere" zur Gemüte führen, sagt Brigitte Quint. Und sie erinnert an den Appell des Schriftstellers: "Es geht um die Kinder."

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Die Entscheidungsträger im Nahostkonflikt sollten sich einmal Erich Kästners "Konferenz der Tiere" zur Gemüte führen, sagt Brigitte Quint. Und sie erinnert an den Appell des Schriftstellers: "Es geht um die Kinder."

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Am Anfang meiner Journalistinnenlaufbahn hatte ein Kollege von der Außenpolitik beschlossen, die Branche zu wechseln. Er war damals ein versierter Kenner des Nahen Ostens, und die Leserschaft schätzte seine Analysen. „Generationen sind an diesem Hass, diesem Leid, dieser Ausweglosigkeit zerbrochen. Und auch die kommenden Generationen werden weiter daran zerbrechen“, erklärte er mir bei seinem Abschiedsumtrunk.

Der ehemalige Kollege ist kein Einzelfall. Philosophen, Soziologen, Historiker, Geopolitiker, Journalisten, Diplomaten, ganz zu schweigen von den Angehörigen der betroffenen Parteien – die israelisch-palästinensische Eskalationsspirale hat über Jahrzehnte zahllose Menschen weltweit zermürbt.

Seit dem 7. Oktober 2023 hat sich die Ohnmacht ob der Nahostfrage potenziert. Die Terrororganisation Hamas setzte ihre von langer Hand geplante „Operation Al-Aqsa-Flut“ in die Tat um. 2000 Terroristen stürmten die Sicherheitsbarrikaden am Gazastreifen, 1200 Menschen, darunter ganze Familien mit kleinen Kindern, wurden hingerichtet. Auf dem „Nova“-Musikfestival ermordeten die Täter rund 364 Partygäste. 253 Personen verschleppten sie nach Gaza. Was daraufhin folgte, ist bekannt. Israels Regierung startete eine Bodenoffensive im Gazastreifen. Zunächst konnte sich der israelische Staat der Solidarität des Westens sicher sein. Israel habe das Recht auf Selbstverteidigung, darin waren sich anfangs die allermeisten einig. Doch dann gingen die Bilder vom Leid der palästinensischen Zivilbevölkerung um die Welt. Ein Wendepunkt. Während die einen auf die bedingungslose Unterstützung Israels pochen, gehen die anderen auf die Straße und werfen der Regierung Netanjahu Völkermord vor. Intellektuelle, Juristen, Nahostkenner liefern sich eine Schlacht der Argumente. Das Thema spaltet Familien, Redaktionen, Kabinette, Schulklassen, Uni-Seminare. Es gibt nur Schwarz oder Weiß. A oder B. Allein der Gedanke, ob Grau oder C auch denkbar sind, scheint schon vermessen zu sein.

Dass dem so ist, das bestätigt auch der Historiker Tom Segev. Er hält die Zweistaatenlösung für eine diplomatische Fiktion und den Nahostkonflikt für unlösbar.

Erich Kästner schrieb: „Es geht um die Kinder!“

„Eines Tages wurde es den Tieren zu dumm“, mit diesem Satz beginnt Erich Kästners „Konferenz der Tiere“. Ein Satz, der mir dieser Tage immer wieder in den Sinn kommt. Kästner lässt in seiner Geschichte die Vertreter aller Tierarten der Erde zusammenkommen, damit diese, aufgrund des politischen Scheiterns der Menschen, für künftige Generationen den Weltfrieden sicherstellen sollen. Die Parabel des Schriftstellers folgt durchgängig der Maxime: „Es geht um die Kinder!“ Am Ende der Geschichte erlangen die Protagonisten die Erkenntnis, dass sie nur Gast auf Erden und gleichermaßen verantwortlich für ihr Zusammenleben sind. Sie einigen sich auf gegenseitige Rücksichtnahme und Dialogbereitschaft.

Israels ehemaliger Botschafter in Österreich, Dan Ashbel wollte am 7. Oktober 2023 eigentlich mit seinen Enkelkindern in seiner Heimat Jerusalem Geburtstag feiern. Statt eines fröhlichen Beisammenseins wurden er und seine Familie in einen Ausnahmezustand versetzt – der bis heute anhält. Kästners Romantiere wiederum wollten nicht länger mitansehen, wie die Kinder unter den Taten der Erwachsenen leiden müssen und wie sie von ihnen verdorben werden, sodass sie als Erwachsene genauso handeln. „Es geht um die Kinder!“ – die Zukunft des Nahen Ostens ist ohne diesen Grundsatz undenkbar. Andernfalls behält mein bis heute geschätzter ehemaliger Kollege recht: „Und auch die kommenden Generationen werden daran zerbrechen.“

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