Muslimischer Religionsunterricht - Zankapfel Religion: In sozialen Medien werden Fälle vermeintlicher Benachteiligung von Schülern aufgrund von Religion stark thematisiert.  - © Foto: APA / dpa / Oliver Berg

Demokratiebildung statt Religionsunterricht: Schule ohne Gott?

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Neos-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr fordert, konfessionellen Religionsunterricht durch das Pflichtfach Demokratiebildung zu ersetzen. Werden dadurch Konflikte in der Schule unterbunden?

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Neos-Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr fordert, konfessionellen Religionsunterricht durch das Pflichtfach Demokratiebildung zu ersetzen. Werden dadurch Konflikte in der Schule unterbunden?

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"Ein Freund von mir hat in der Pause auf dem Schulflur gebetet und wurde suspendiert, was soll er machen?“, lautet eine Frage auf TikTok. Die Antwort des Islamlehrers fällt simpel aus: „Natürlich dagegen vorgehen, mein Lieber, solange ihr nicht in den Unterrichtsstunden betet, haben die nichts zu melden!“

„Darf ich beten, hat man ein Recht darauf oder nicht?“, fragt ein junger Mann in einem anderen Video einen Polizisten in einem Wiener Einkaufszentrum. Der Beamte scheint mit der Frage überfordert, die Schüler sollten ihr Anliegen am besten mit der Direktion besprechen.

Wiederkehr: Demokratiebildung gegen Diskriminierung

Videos wie diese gibt es zuhauf. Viele muslimische Jugendliche klagen in den sozialen Netzen über vermeintliche Diskriminierung. Religion wird solcherart in verschärfter Form zum Politikum in den Klassenzimmern.

Womöglich hatte auch Wiens Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr Fälle wie diese vor Augen, als er in der vergangenen Woche mit der Forderung aufhorchen ließ, statt des konfessionellen Religionsunterrichts künftig ein Pflichtfach mit dem Titel „Leben in einer Demokratie“ ab der Volksschule einzuführen. „Unser gemeinsamer Glaube ist die Demokratie“, meinte der Neos-Politiker. Der konfessionelle Religionsunterricht solle stattdessen künftig nur noch als Freifach angeboten werden.

35 Prozent Muslime

Wohl nicht zufällig hatte der Bildungsstadtrat seinen Vorschlag im Rahmen der Präsentation von Zahlen zum Religionsunterricht in der Bundeshauptstadt ventiliert. 35 Prozent der Wiener Volksschülerinnen und -schüler sind muslimischen Glaubens, christliche Kinder (katholische, orthodoxe und evangelische) rangieren mit 36 Prozent nur noch knapp davor, der Rest teilt sich auf kleinere Religionsgemeinschaften auf. Immer größer wird hingegen auch der Anteil von Schülerinnen und Schülern ohne religiöses Bekenntnis: Aktuell macht er in Wien bereits 26 Prozent aus.

Einzuordnen ist der Vorschlag Wiederkehrs deshalb auch unter dem Aspekt der Profilschärfung im Vorfeld der Nationalratswahl Ende September. Der mediale Wirbel war erwartbar groß. Kritik an dem Vorstoß kam postwendend.

Allen voran die Religionsgemeinschaften reagierten mit Ablehnung: Ümit Vural, Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft, wies eine Verknüpfung zwischen der steigenden Anzahl muslimischer Schülerinnen und Schüler und der Forderung nach Demokratiebildung als „bedenklich“ zurück.

Religion als Subkultur

„Wer Religion aus dem Schulunterricht grundsätzlich verbannen möchte, unterbindet nicht ihre bisweilen destruktiven Kräfte, sondern drängt sie ins subkulturelle Milieu und in geschlossene Gruppierungen die ein Nährboden für Fundamentalismen aller Art sind und Tendenzen der Selbstabschottung und Polarisierung eher noch bestärken“, zeigte sich der reformierte Theologe Ulrich H. J. Körtner in einem Gastkommentar in der Presse überzeugt. Es komme für die Zukunft Österreichs wie ganz Europas darauf an, dass Religion nicht einseitig als Bedrohung, sondern als Ressource wahrgenommen werde.

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