Sankt Engelbert-Statue vor der Hohe-Wand-Kirche - Die Skulptur zeigt den Hl. Engelbert, Erzbischof von Köln, der 1225 als Folge politischer Ränke ermordet wurde. Ein Vandalenakt machte aus dem Dollfuß-Gedächtnis ein Ge-ächtnis. - © Wolfgang Machreich

Hohe-Wand-Kirche: Statt Dollfuß lockt die Aussicht

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Der jetzige Märtyrer-Kult um Trump lässt ahnen, wie die religiöse Überhöhung von Bundeskanzler Dollfuß nach dessen Tod um sich griff. Heute ist „seine“ Kirche eine beliebte Hochzeitslocation.

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Der jetzige Märtyrer-Kult um Trump lässt ahnen, wie die religiöse Überhöhung von Bundeskanzler Dollfuß nach dessen Tod um sich griff. Heute ist „seine“ Kirche eine beliebte Hochzeitslocation.

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Die Windungen im Eisengeländer vor dem Kircheneingang verdanken sich keiner Schmiedekunst, sondern sind von Granatsplittern und Gewehrkugeln gedreht. In den letzten Tagen des Zweiten Weltkriegs war die Kirche auf der Hohen Wand eine wild umkämpfte Bastion, erklärt Robert Schara. Im wuchtigen Sakralbau auf dem Karstplateau über dem südlichen Wiener Becken verschanzten sich Wehrmachtsverbände, die den anrückenden Sowjet-Truppen im abschüssigen Gelände noch erbitterten Widerstand leisteten.

Auf einem Tisch in der Sakristei stehen Blumenvasen verschiedener Form und Größe – aus dem Sortiment zieht Schara eine Granathülse. Mit dem zur Vase umgemodelten Kriegsrelikt in der Hand setzt er die politisch belastete und mit ideologischem Sprengstoff geladene Geschichte des Ortes ins Bild und beschreibt gleichzeitig den heute dort praktizierten pragmatischen Umgang damit.

„Für uns ist das eine Kirche, wir feiern hier Gottesdienste, aber wir huldigen hier keinem Politiker, Staatsmann, Diktator, wie immer man zu Engelbert Dollfuß stehen mag“, sagt Schara als stellvertretender Vorsitzender des Pfarrgemeinderats der Ortschaft Dreistetten, zu der die Hohe-Wand-Kirche gehört. So wie die Gedächtnisstätte für den im Gefolge des Juliputsch 1934 ermordeten Bundeskanzler auf einer anderen Etage, quasi im Untergeschoß des Gebäudes liegt, unterscheidet Schara zwischen Kirche und Gedenkort: „Wir trennen das, was auch der ersten Intention dieses ursprünglich viel kleiner geplanten Kirchenbaus entspricht.“

Gedenkort statt Zweitwohnsitz

Die Idee einer Kombination aus Kirche und Gedächtnisstätte auf der Hohen Wand soll von der Witwe des Bundeskanzlers gekommen sein. Dollfuß war mit der Gegend verbunden. Als Funktionär der Landwirtschaftskammer förderte er die Almweidegenossenschaft auf dem Hochplateau; als Landwirtschaftsminister trieb er den Bau der Bergstraße auf die Hohe Wand voran, die den Tourismus ankurbelte und für einen wirtschaftlichen Aufschwung in der Region sorgte. Die Wandgemeinde verlieh ihm dafür das Ehrenbürgerrecht, das Dollfuß mit dem Kauf eines Wochenendhauses mit Leben erfüllen wollte – dazu ist es nicht mehr gekommen, dafür zog Dollfuß als „Heldenkanzler“ und „Märtyrer“ auf der Hohen Wand ein.

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