Täter-Opfer-Kanzler Engelbert Dollfuß - Leben und Sterben von Engelbert Dollfuß (Aufnahme als Landwirtschaftsminister 1930) stehen exemplarisch für das innenpolitische Scheitern wie das außenpolitische Aufbäumen der Ersten Republik. - © picturedesk.com/ ÖNB-Bildarchiv / Max Fenichel (1885-1942)

Engelbert Dollfuß: Vom Antisemiten zum „Judenknecht“

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Der nationalsozialistische Putschversuch am 25. Juli 1934 kostete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und über hundert weiteren Republik-Verteidigern das Leben. Was bis heute fast unbeachtet blieb: Der NS-Aufstand wurde damals in Österreich erfolgreich niedergeschlagen.

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Der nationalsozialistische Putschversuch am 25. Juli 1934 kostete Bundeskanzler Engelbert Dollfuß und über hundert weiteren Republik-Verteidigern das Leben. Was bis heute fast unbeachtet blieb: Der NS-Aufstand wurde damals in Österreich erfolgreich niedergeschlagen.

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Es ist eines der ikonografischen Bilder der österreichischen Geschichte: Der auf einem Sofa liegende Kanzler Engelbert Dollfuß, getötet am 25. Juli 1934 von Nazi-Putschisten im Bundeskanzleramt. Es hat jedoch an Wirkmächtigkeit verloren. Das Gedenken an das Nazi-Opfer Dollfuß an den runden Jahrestagen seines Todes scheint gegenüber dem als (Mit-)Zerstörer der parlamentarischen Demokratie in Österreich fast vollständig in den Hintergrund geraten zu sein. Im Gegenteil: Ein zentraler Erinnerungsort an Dollfuß und die Opfer des Juli-Putsches wurde aktuell mit der Räumung des Museums im niederösterreichischen Texing nicht überarbeitet, sondern geschlossen.

Habsburg-Mythos genützt

Die lange Zeit ungeklärten Fragen rund um den NS-Putschversuch sind indessen vor allem durch die akribischen Forschungen des österreichischen Historikers Kurt Bauer für sein Standardwerk zum Thema „Hitlers zweiter Putsch“ (Residenz, 2014) weitgehend beantwortet. Als Bauer sich auch an die Entmystifizierung des sozialdemokratischen Februar-Aufstands machte, schlug ihm teilweise heftige Ablehnung entgegen.

Als gesichert kann laut Bauer gelten, dass der Putsch auf Anweisung Hitlers geschah. Dollfuß widersetzte sich bei aller Verhandlungsbereitschaft den Machtansprüchen der Nationalsozialisten, dabei das warnende Beispiel seiner katholischen Parteifreunde im „Reich“ vor Augen. Mit seinem Bekenntnis zu Österreich als selbstständigen (wenn auch „deutschen“) Staat hatte Dollfuß den großdeutschen Konsens der Jahre nach 1918 in Österreich infrage gestellt. Aus dem überzeugten Anschlussfreund, Antisemiten und Republikaner seiner Jugend- und Studienjahre war der Herold eines neuen österreichischen Selbstbewusstseins geworden: Etwa wurde er von den meisten österreichischen Juden als Schutzherr gegen die Nazis gewürdigt; die Nazis wiederum diffamierten den Kanzler als Judenknecht; auch begriff man ihn mittlerweile als einen dem Habsburg-Mythos nützenden Politiker.

Aus dem Ziel, Österreich in das Deutsche Reich zu holen, hatten die Nationalsozialisten nie einen Hehl gemacht. Aber seit der Machtergreifung in Berlin 1933 konnten sie zu dessen Umsetzung über die Mittel einer Großmacht verfügen, dass die Souveränität des Nachbarlandes über seine Grenzen und Staatsbürger ganz offen anzweifelte. Der Kanzler des Deutschen Reiches agierte gleichzeitig als „innerösterreichischer Oppositionsführer“, wie Dieter Binder vom Institut für Geschichte der Universität Graz diese Doppelrolle beschrieben hat. Mit der „Tausend-Mark-Sperre“ und der Drosselung der Industrieimporte wollte Deutschland den sowieso krisengeschüttelten Staat in die Knie zwingen.

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