Sich störend einmischen Abbt.jpg - © Wikipedia / Illustration: Rainer Messerklinger

Demokratie und Gewaltenteilung: Sich störend einmischen

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Wie kann die Demokratie noch demokratischer werden? Eine philosophische Spurensuche bei Montesquieu und John Locke.

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Wie kann die Demokratie noch demokratischer werden? Eine philosophische Spurensuche bei Montesquieu und John Locke.

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Demokratien sind Ordnungen, in denen es elementar um die Beschränkung von Macht geht. Macht liegt darin nicht mehr in den Händen eines Einzelnen. Sie gehört weder nur einer sogenannten Elite noch allein dem sogenannten gemeinen Volk. Macht ist in Demokratien möglichst geteilt. Alle von ihr Betroffenen sind daran zu beteiligen, etwa durch die Möglichkeit, sich in ein Amt wählen zu lassen, durch die Teilnahme an Wahlen, durch Abstimmungen oder durch das Recht auf Versammlungsfreiheit. Die demokratische Beteiligung an der Macht über den einen Moment der Wahl hinaus benötigt allerdings einen starken Schutz. Schon früh in der Geschichte moderner Demokratien wurde klar, dass dazu wirksame Instrumente der Machtlimitierung einzuführen sind, allen voran die Teilung der staatlichen Gewalten. Absolute oder weit ausgreifende Macht zugunsten einer ausgewogenen Machtverteilung zwischen unterschiedlichen Einflussbereichen zu beschränken, ist bis heute ein demokratischer Imperativ.

Institutionelle Gewaltenteilung

John Locke und Montesquieu sind die philosophischen Begründer institutioneller Gewaltenteilung. Diese stand und steht für die Einsicht, dass machtvolle Zuständigkeiten auf verschiedene Instanzen aufgeteilt werden müssen, damit sie sich gegenseitig kontrollieren und in Schranken halten können. Andernfalls droht Machtmissbrauch. Rechtsetzung, Rechtvollzug und Rechtsprechung dürfen nicht in denselben Händen liegen. Legislative, Exekutive und Judikative sind in Demokratien zu separieren und je als unabhängige Instanzen zu schützen, weil ein enges Zusammenspiel dieser Instanzen beziehungsweise der Personen darin zu gefährlichen Machtmonopolen führen würde. In Demokratien sind ununterbrochene Anstrengungen gegen den Rückfall zur Willkür eines Einzelnen, einer einzigen Partei oder eines Clans nötig. Die bis heute schlagende Idee lautet: Dort, wo sich Macht sammelt und häuft, braucht es eine Gegenmacht, die ebenfalls Möglichkeiten hat, sich störend einzumischen und auf erstere angemessen wirkungsvoll zu reagieren. Damit diese Machtkontrollen in Gang bleiben, muss auch eine zweite Macht wiederum von einer dritten Instanz überprüft und limitiert werden. Erst das konkurrierende Zusammenspiel von Institutionen, die sich als unterschiedliche, getrennte und unabhängige Pfeiler demokratischen Zusammenlebens begreifen, kann eine Machtbalance annähern, welche für eine fortgesetzte Partizipation möglichst aller an der Macht nötig ist.

Die jüngere europäische Geschichte weist bekanntlich Beispiele auf, in denen die institutionelle Gewaltenteilung von anti-demokratischen Parteien nach deren demokratischer Wahl außer Kraft gesetzt wurde. Die Demokratie wurde hier als Steigbügelhalterin von Parteien missbraucht, welche mit demokratischen Mitteln Demokratien zerstören wollten und – jedenfalls vorübergehend – brutal zerstörten.

Heute ist die Gewaltenteilung autoritären Machthabenden, ihren Funktionären und Parteien, erneut ein Dorn im Fleisch. Sie heben die Gewaltenteilung institutionell zwar nicht auf, aber sie schwächen sie bis zur Unkenntlichkeit. Legislative, Exekutive und Judikative bestehen dann beispielsweise zwar weiter, aber ihr Vermögen, sich gegenseitig zu kontrollieren, öffentlich zu kritisieren und tatsächlich zu begrenzen, wird torpediert. Dazu werden heute innerhalb und außerhalb Europas unterschiedliche Strategien angewendet. Die Schwächung kann auf Verfassungs- oder Gesetzesebene vorgenommen werden oder auf der personellen oder – wie häufig – auf verschiedenen Ebenen gleichzeitig. Wenn etwa in allen drei Funktionsbereichen der Macht Personen derselben Partei sitzen, dann kommt die Pointe der Gewaltenteilung nicht mehr zur Anwendung. Statt Machtbalance ist eine Machtballung die Folge.

Der französische Philosoph Montesquieu unterstrich bereits Anfang des 18. Jahrhunderts, dass allein die Einrichtung dreier Institutionen nicht genüge. Weitere Kriterien müssten hinzukommen, um deren Unabhängigkeit zu gewährleisten. Die Institutionen sollten etwa möglichst auseinanderliegen, bestenfalls in verschiedenen Ortschaften. Von Freundschaften zwischen Amtsträgern solle abgesehen werden. Sie erhöhen unweigerlich das Risiko für Seilschaften. Selbst ein intensiver persönlicher Austausch zwischen den unterschiedlichen Funktionsträgern sei zu vermeiden. Was würde der Aufklärer Montesquieu wohl über heutige Kompetenzzentren zur Bekämpfung von Kriminalität denken, die Polizei, Staatsanwaltschaft, Forensik und Justizvollzug unter ein Dach bringen? Offensichtlich erschweren solche Einrichtungen die Trennung der Gewalten und sollten aus demokratischer Sicht vermieden werden. Montesquieu lieferte eine Reihe weiterer Instrumente, um dem Machtzuwachs entgegenzuwirken, etwa Amtszeitbeschränkungen. Unabhängig von Eignung, Einfluss oder Beliebtheit einer Person treten diese in Kraft. Die demokratisierende Wirkung solcher Regeln liegt allerdings in ihrer fortlaufenden nüchternen Anwendung. Einmal für eine „Rad-Lösung“ zu votieren, wonach alle zwei Jahre die Leitung etwa eines universitären Instituts wechseln soll und dann – erst einmal selbst im Amt – sich nicht mehr an die Regel zu erinnern, verkehrt das demokratisierende Moment in ein demokratieschwächendes.

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