Vucic - © Foto: Getty Images / Vladimir Zivojinovic

Vučićs Medienmasche: 300 abendfüllende Fernsehauftritte

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Wie das autoritäre Regime von Serbiens Präsident Aleksandar Vučić seine Macht medial absichert. Eine Analyse.

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Wie das autoritäre Regime von Serbiens Präsident Aleksandar Vučić seine Macht medial absichert. Eine Analyse.

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Die Hauptfigur in George Orwells Roman „1984“ beginnt am 4. April 1984, sein Tagebuch zu verfassen. Das Problem ist aber, dass er dem Datum nicht trauen kann – ist es nun wirklich der 4. April? Hat das totalitäre Regime, das Medien vollständig kontrolliert und stets bemüht ist, eine andere alternative Realität zu schaffen, auch das Datum gefälscht? Winston Smith kennt die Abgründe seines Zweifels an der Realität dieses Datums, sitzt er doch im Herzen der Maschinerie, die fortdauernd die „richtige“ Wirklichkeit produziert – im Propagandaministerium.

Das Datum sitzt meistens gut in den serbischen Boulevardmedien, die vom Regime unter der Führung der dominanten politischen Figur des heutigen Serbien kontrolliert werden – vom Präsidenten des Landes, Aleksandar Vučić. Jenseits des Datums wird es aber komplizierter.

Winken für die Kameras

Berühmt-berüchtigt ist jene Titelseite einer der größten und wichtigsten Boulevardzeitungen des Landes, Informer, zwei Tage nach dem Beginn der russischen Aggression gegen die Ukraine: Am 22. Februar 2022 titelte Informer: „Die Ukraine hat Russland angegriffen“. Es gibt auch eine andere vielsagende Szene, die in zahlreichen serbischen Fernsehkanälen, die in privater Hand liegen und vom Regime kontrolliert werden, im März 2023 in Dauerschleife lief. Am 20. März 2023 setzten sich Vučić und sein enger Freund und politisch Gleichgesinnter, der derzeitige Ratsvorsitzende der EU und ungarische Premierminister, Viktor Orbán, in einen Zug, um eine Teilstrecke der mit chinesischen Geldern gebauten Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Belgrad und Budapest zu eröffnen.

Das auch in sozialen Medien viral gegangene Video spricht Bände – Vučić und Orbán sitzen im Zug und winken nahezu andauernd aus dem Fenster. Vučić macht das mit ziemlicher Begeisterung und einem verschmitzten Lächeln. Sein Gast winkt etwas verstohlen mit und wirkt dabei ein wenig irritiert. Dafür gibt es auch einen guten Grund – auf den Bahnsteigen und in der Umgebung des vorbeirauschenden Zuges sind schlicht keine Menschen zu sehen. In diesem Video erinnert alles ein wenig an die vier Puppen aus der Babyfernsehreihe „Teletubbies“, an Tinky-Winky, Dipsy, Laa-Laa und Po, die auch andauernd fleißig winken und dabei irgendwie seltsam stupide wirken, so zumindest mein Eindruck. Ist Serbien zu einer Mischung aus dem medialen Teletubbie-Land und Orwells „1984“ verkommen, in der Realität und Fiktion verschwimmen und jemand Mächtiger aus dem Hintergrund alles dirigiert? Natürlich ist die Lage komplexer.

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