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Rotweißrote „Verführung“

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Sie sind uns überall nahe, doch kennen wir sie nicht: Die Menschen, die in Österreich und der ganzen westlichen—Welt Werbung betreiben. Sie gestalten im Hörfunk, machen Plakate, Fernsehspots, Kinofilme und sind in jeder Auslage präsent. Sie sind Zeitgenossen, die ein Uberangebot an Waren, das verkauft werden will, an den Mann bringen. Aber Werbung ist heute primär auch Information und hat wichtige wirtschaftspolitische Funktionen: In einer Depression kann es ungemein wichtig sein, daß der Konsum angeregt wird und damit die gesamte Wirtschaft wieder in Schwung kommt. Diesen Transmissidnsriemen stellt die Werbung dar, die uns erst zu „Verbrauchern“ macht. Uber 2 Milliarden Schilling setzt die Werbewirtschaft in Österreich jährlich um, und sie ist zu einem Wirtschaftszweig mit tausenden Beschäftigten geworden, von denen der Großteil kreativ tätig ist. Die Werbewirtschaft hat auch in den letzten Jahren erstaunliche Zuwachsraten im Umsatz aufzuweisen, und für 1969 erwarten sich die Werbemanager wieder einen Zuwachs von 18 bis 20 Prozent. Denn immer mehr Unternehmungen begnügen sich nicht mehr mit altväterlicher „Reklame“, sondern durchforschen mit wissenschaftlichen Methoden den Markt, planen ihren Werbeeinsatz nach ausgeklügelten Berechnungen und testen ihre Werbemittel mit psychologischen Tests.

Die Österreicher lernen nach wie vor bei den Amerikanern, die die Werbung zu immer größerer Perfektion betreiben. Und amerikanische Werbeagenturen sind es auch, die den langsameren Europäern zusehends auch in Österreich hart zusetzen. Auch in Österreich etablieren sich immer mehr angelsächsische Werbeagenturen, die den eingesessenen Unternehmern den Rang ablaufen.

Der Mann allerdings, der die Psychologie zum wichtigsten Hilfsmittel der Werbung machte und einer der umstrittensten Persönlichkeiten Amerikas ist, kommt aus Wien: Doktor Ernest Dichter entdeckte Sigmund Freud für die Werbung und wurde zum Vater der „geheimen Verführer“. Denn allerorts wird die Kritik an manchen, Methoden der Werbung immer “lautstarker ' geäußert. Biae revolutionäre' Jugend wirft gerade diesem Wirtschaftszweig „Manipulation“ und „Versklavung“ durch Weckung des Konsumhungers vor.

Österreichs Werbung, die jährlich zu einer immer besinnlicher werdenden werbewirtschaftlichen Tagung im November in Wien sich zusammenfindet, verstand jedenfalls in Rechtfertigung der eigenen Arbeit, auch zeitgemäße Parolen, wie sie von der Jugend auf den Straßen der ganzen Welt vorexerziert wurden, in das Sprachbild einzubeziehen. So versuchte man, dem Kritikerwort in der Werbung, das von einer „Tyrannei der Reklame“ spricht, ebenso entgegenzutreten wie den Gegnern, die in der Werbung nur eine „psychologische Versklavung des Verbrauchers“ sehen, oder von der Bevölkerung als „manipulierte Konsumentenschar, die zu ungerechtfertigten Ausgaben verführt wird“, sprechen. Man wies nach, daß

• die Werbung die Ware nicht verteuere,

• im Gegenteil, neue Arbeitsplätze schaffe

• und für die Erhaltung der Arbeitsplätze sorge.

Aber der Kurator des österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts, Dr. Strunz, mußte angesichts solcher Kritiker doch zugeben, daß zwar die A:rgumente,“Hdiertdie Werbung vorbringt, stimmen, daß man aber dem Gegner außer einer „Flut von Büchern und Fachliteratur“ bisher nichts entgegengesetzt habe. Denn alles, was bisher an Literatur und Rechtfertigung erschienen ist, war für den Fachmann bestimmt. An Aufklärungsarbeit in der Bevölkerung über Wirtschaft ließ man es bisher fehlen.

So kam es zum perversen Zustand, daß Österreichs Public-Relations-Fachleute und Werber vom Dienst vor lauter Arbeit für andere vergaßen, Werbung für die Werbung zu machen, Aufklärung über sich selbst zu geben.

Denn in Österreich muß die Werbung noch darum kämpfen, wozu sie in anderen Staaten bereits voll ermächtigt und anerkannt ist, um ihre Notwendigkeit in der Wirtschaft. Derartige Vorurteile, gibt der sonst progressive Dr. Heinz Kienzl vom österreichischen Gewerkschaftsbund zu verstehen, wenn er meint, große Konzerne sehen sich veranlaßt, um ihre Stellung am Markt zu halten, einen immer steigender werdenden Werbeaufwand zu tätigen und dann, um die Kosten hereinzubringen, die Preise ihrer Waren zu erhöhen.

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