Sterbehilfe - © Foto: iStock/rootstocks

"Spiritual Care": Und was war der Sinn dieses Lebens?

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Die Psychotherapeutin Monika Müller über "Spiritual Care" als Antwort auf die spirituellen Fragen und Nöte sterbender Menschen.

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Die Psychotherapeutin Monika Müller über "Spiritual Care" als Antwort auf die spirituellen Fragen und Nöte sterbender Menschen.

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Monika Müller hat das Hospiz- und Palliativwesen in Deutschland wesentlich mitgeprägt. Sie hat sich als Psychotherapeutin, Supervisorin und Dozentin am Lehrstuhl für Palliativmedizin in Bonn nicht nur intensiv mit Trauerarbeit beschäftigt, sondern auch einen Kurs für "Spiritual Care“ entwickelt. Im FURCHE-Interview spricht sie über diese wissenschaftliche Disziplin an der Grenze zwischen Medizin, Theologie und Krankenhausseelsorge, die sich darum bemüht, Spiritualität und Religiosität auch als Bedürfnis kirchenferner bzw. nichtchristlicher Patienten wahrzunehmen und zu erforschen.

DIE FURCHE: Frau Müller, was macht Spiritual Care im Klinik-Alltag anders?

Monika Müller: Mediziner oder Psychologen fragen: Wie fühlen Sie sich denn heute? Spiritual Care fragt: Wes Geistes Kind ist dieser Mensch? Woher speisen sich seine Sehnsüchte, was sind seine Hoffnungen?

DIE FURCHE: Welche Voraussetzungen muss man dafür mitbringen?

Müller: Vor allem die, dass der beratende, helfende, unterstützende Mensch überhaupt eine Membran hat für das, was wir Spiritualität nennen - was nicht zwingend heißt, dass er eine Religions- oder Kirchenzugehörigkeit haben muss. In Spiritual Care-Kursen kann und sollte dann die Auseinandersetzung mit der eigenen Spiritualität stattfinden. Aus meiner über zwanzigjährigen Erfahrung der Arbeit mit Sterbenden und Trauernden versteige ich mich zur Aussage, dass die meisten Menschen eine Sehnsucht nach etwas Übergreifendem haben, nach einem Deutungshintergrund für ihr Leben. Das nenne ich spirituell. Ob das jetzt an eine Gottesvorstellung gebunden ist oder an eine Philosophie oder an so etwas wie "Natur“, ist nicht entscheidend.

DIE FURCHE: Wie verbreitet sind klassisch materialistische Sichtweisen bei Sterbenden?

Müller: Ein kleinerer Teil sagt: Nach dem Tod ist alles aus, ich habe gut gelebt, für meine Familie gesorgt und mir deshalb nichts vorzuwerfen, belästigen Sie mich jetzt nicht mit so einem Kram. Aber viele Menschen fragen sich: Was war denn der Sinn dieses Lebens? Was bleibt von mir? Wird irgend etwas fortbestehen? Da muss man sehr aufpassen - und deswegen gibt es ja Spiritual Care-Kurse - dass man den Menschen nicht einen Deutungshintergrund anbietet, den man ihnen von Amts wegen anbieten muss oder weil man sich selber in ihm so wohlfühlt. Hier habe ich manchmal Sorge bei kirchlichen Trägern oder bei ganz alten Seelsorgern ...

DIE FURCHE: Spiritual Care ist also heilsabstinent, aber sinnorientiert?

Müller: Ja - und ohne Lösung. In unseren Kursen gibt es auch Leute aus der ehemaligen DDR, die wirklich unbeleckt von Glauben sind - und die dann ihre eigene spirituelle Vorstellung entwickeln, sehr frei, sehr offen, aber immer mit der Frage: "Was gibt es über mich hinaus?“

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