Biden

Warum das Weiße Haus einem Thronsaal gleichkommt

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Beim US-Präsidentschaftswahlkampf schwingt auch eine sakral anmutende Identitätsebene mit. Nach Joe Bidens Kandidaturrückzug geht die Angst vor einem personellen Machtvakuum um.

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Beim US-Präsidentschaftswahlkampf schwingt auch eine sakral anmutende Identitätsebene mit. Nach Joe Bidens Kandidaturrückzug geht die Angst vor einem personellen Machtvakuum um.

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Joe Biden macht einen Schritt zur Seite und schafft damit eine Situation, die nicht nur Donald Trump, sondern das ganze gesellschaftspolitische System in den USA vor enorme Herausforderungen stellen wird. Zwar war dies nur das „w. o.“ im Wahlkampf – Joe Biden bleibt schließlich bis zur Vereidigung seiner Nachfolge im Amt. Die Auswirkungen, die mit diesem vorprogrammierten Abschied aus dem höchsten Amt im Staat einhergehen, reichen aber weiter als die kommenden Monate des Wahlkampfes und die nächste(n) Amtszeit(en).

Dass ein US-Präsident nur eine Amtszeit im Oval Office verbringt bzw. nach dieser vom Volk abgewählt wird, ist immer wieder vorgekommen – meistens waren es krisengeschüttelte Perioden, die bei der Wählerschaft den Wunsch nach Veränderung und einem Wechsel beim man in charge wachsen ließen. Ebenso hat es Fälle gegeben, in denen Präsidenten durch Gewalt und Tod unvorhersehbar aus dem Leben und somit auch aus ihrem Amt gerissen wurden. Es gab auch Rücktritte, die mehr oder weniger freiwillig, wohl aber immer geordnet und mit viel Wehmut vonstattengegangen sind. Und nicht zu vergessen: Es gab juristisch und politisch einwandfreie Wahlergebnisse, die vom Unterlegenen (bis heute) als „Diebstahl“, „Putsch“ oder „Betrug“ tituliert werden.

Heilig-patriotische Überzeugung

Alle diese Wechsel in der US-Präsidentschaft spielen sich neben der politischen Dimension auch auf einer sakral anmutenden Identitätsebene ab, welche die Vereinigten Staaten seit ihrer Staatsgründung begleitet. Eine Art heilig-patriotische Überzeugung, dass die Machtfülle, die in dieser Staatsfunktion zentriert und auf die das Amt zugeschnitten ist, nicht ohne tragende Person bleiben darf. Es dürfe keinen Moment der Unsicherheit geben, keine Ungewissheit, wer als Präsident den Schlussstein im Gefüge der Republik zu bilden habe. Somit habe das Amt in jeder Situation einer Amtsbeendigung nahtlos an eine nachfolgende Person zu gehen: Es kann, darf und soll keine Zeit ohne amtierenden man in charge geben. Eindrucksvoll geschah dies 1963 nach dem Attentat auf John F. Kennedy, als Vizepräsident Lyndon B. Johnson noch in der „Air Force One“ auf dem Rollfeld in Dallas, Texas, vereidigt wurde. Diese Amtseinführung war so hektisch, dass man sich nicht einmal die Zeit gab, eine Bibel für die Antrittsformel zu suchen. Der überzeugte „Disciple of Christ“ Johnson wurde kurzerhand auf ein römisches Missale angelobt, das man zufälligerweise im Präsidenschaftsflieger als früheres Geschenk an den katholischen Kennedy gefunden hatte.

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