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Warten auf Belgrad

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Die Entspannungspolitik steht nächste Woche einmal mehr auf dem Prüfstand. In Belgrad treffen einander am 4. Oktober Diplomaten der 35 Teilnehmerstaaten der Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa, um über die Anwendung der 1975 in Helsinki Unterzeichneten Schlußakte und über weitere Schritte im Sinne der Konferenzziele zu beraten. Belgrad kann ein weiterer Schritt in Richtung wirksamer Entspannungspolitik werden; Belgrad kann aber auch eine Abkühlung in die Ost- West-Beziehungen bringen, kann die Wiederbelebung, des Kalten Krieges bedeuten. Viel hängt vom Auftreten der beiden Supermächte, den USA und der Sowjetunion, ab.

Wird die Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa mit Entspannungspolitik gleichgesetzt, wird auch die Bilanz des seit Helsinki Erreichten mager ausfallen. Deshalb die Desillusionierung, die bei einer Reihe von Teilnehmerstaaten eingetreten ist, ganz einfach darum, weil die Erwartungen der Bevölkerung und der Regierungen zu hoch geschraubt waren. Anders sieht es aus, wenn die KSZE nur als Teil der Entspannungspolitik betrachtet wird - und mehr ist sie zweifellos nicht So gesehen war Helsinki ein Fortschritt, weil die KZSE Teil eines allgemeineren Prozesses ist, der die Beziehungen zwi-. sehen Staaten mit unterschiedlicher Gesellschaftsordnung verbessern kana

Ein machtpolitischer und ideologischer Konflikt, wie ihn der weltweite Wettstreit der Sowjetunion und ihrer Satelliten einerseits, der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten andererseits darstellt, birgt ständig die Gefahr einer kriegerischen Auseinandersetzung in sich. Entspannungspolitik war und ist deshalb notwendig, um diesen Konflikt einzudämmen, um Teilkonflikte einvernehmlich zu lösen.

In diesen Rahmen der Entspannungspolitik fällt etwa auch die Begrenzung des nuklearen Wettrüstens, genauso wie der Versuch, ein gemeinsames Krisenmanagement für Zeiten akuter Gefahr zu erreichen, aber auch die Konsolidierung des territorialen Status quo in Europa.

Das Abkommen von Helsinki hat dem machtpolitischen Konflikt in der Welt kein Ende gesetzt. Im Gegenteil: Der machtpolitische Konflikt wird mit unverminderter Härte fortgesetzt, ja verschärft, weil die Sowjetunion den ideologischen Konflikt - den Klassenkampf - aus der Entspannungspolitik ausgeklammert hat. So hat die Sowjetunion klar formuliert, daß sie nicht nur die nationalen Befreiungskriege in der Dritten Welt unterstützen müsse, sondern auch Bürgerkriege in den fortgeschrittenen Ländern. Entspannungspolitik, wohin?

Eben weil die Sowjetunion ihren ideologischen Gegensatz zum westlichen System niemals aufgegeben hat, muß der Westen der KZSE kritisch gegenüberstehen. Man verhandelt ja schließlich mit Staaten, die sich selbst als „ideologische Feinde” deklarieren. Die Konsequenzen, die sich daraus ziehen lassen, können für die Entspannungspolitik gefährlich werden. Daß dadurch nur schwerlich „ver trauensbildende Maßnahmen” getroffen werden können, die vom Osten in Zusammenhang mit der KSZE immer wieder vom Westen gefordert werden, scheint nur allzu verständlich.

Diese Vertrauenslücke besteht auf beiden Seiten: Die sozialistischen Länder sehen in der westlichen Insi- stenz auf Korb 3, insbesondere auf die Menschenrechte, eine Fortsetzung des Kalten Krieges. Das ist sie sicherlich nicht! Die Sowjetunion betont immer wieder, daß die drei Körbe gleichrangig behandelt werden müßten, also dürfen Menschenrechtsfragen nicht aus der Diskussion ausgeklammert werden, obwohl das dem Kreml lieb wäre. Zweifellos hat hier das energische Auftreten des amerikanischen Präsidenten Carter viel Verwirrung im sozialistischen Block gestiftet.

Nicht zuletzt hängt es von der amerikanischen Delegation in Belgrad ab, ob’ die KSZE-Nachfolgekonferenz zu einem fruchtbaren Ergebnis führen wird. Gerüchten aus Washington zufolge kann die Konferenz in Belgrad auch zu einem Gerichtshof verwandelt werden, in dem die Verstöße gegen das Helsinki-Abkommen aufgezählt werden. Genau das also, was die übrigen westlichen Staaten nicht wollen: Während die meisten Nationen vermutlich drei Delegierte senden, die Bundesrepublik und die Sowjetunion zehn, plane der amerikanische Senat - offensichtlich mit Zustimmung des Präsidenten - einen Auftritt mit nicht weniger als 35 Delegierten, geführt von Arthur Goldberg, einem ehemaligen Regierungsbeamten unter Präsident Johnson und vormals UN-Botschafter der Vereinigten Staaten. Unter diesen Delegierten seien auch zwölf Senatoren (acht Demokraten, vier Republikaner), die einen Botschafter-Status verlangen und wahrscheinlich ziemlich freimütig auftreten würden.

Die Gefahr dabei ist, daß die US-De- legation nicht geschlossen auftreten kann und geheime Verhandlungen beinahe unmöglich sein werden. Die Belgrader Konferenz könnte zu einem Mißerfolg werden, ähnlich den SAL-Gesprächen!

Möglich, daß das State Department eingreift und diese Initiative stoppt. Politische Kreise in Washington meinen, daß Carter mit dieser neuerlichen Menschenrechtskampagne sein nationales Image wieder aufpolieren will, nachdem er erst kürzlich über seinen Budgetdirektor Lance gestolpert ist.

Kein Zweifel: Wenn sich diese Gerüchte als wahr erweisen sollten, kann Belgrad erneut einen Bruch im Ost- West-Verhältnis herbeiführen. Auch der westdeutsche Kanzler Schmidt wird dieser amerikanischen Initiative keineswegs freundlich gegenüberstehen, schon einmal zeigte er sich über Carters Auftreten in der Menschenrechtsfrage erbost.

Tatsache ist, daß der Korb 3 in den Vereinigten Staaten viel intensiver diskutiert wird, als es in Europa der Fall ist, weil hier den vertrauensbildenden Maßnahmen größere Bedeutung zukommt. Daß deshalb die Enttäuschung über die Haltung des Ostblocks zu den Bestimmungen von Korb 3 in den USA größer ist, scheint nicht unverständlich. Trotzdem kann ein Aufrechnen der gegenseitigen Schuldbilanz nicht Sinn und Zweck des Nachfolgetreffens in Belgrad sein. Vielmehr müßte bei dieser Konferenz eine Form gefunden werden, die die Weiterführung des Ost-West-Dialogs ermöglicht. Sollte Belgrad schiefgehen, läßt sich ein sinnvoller Dialog für längere Zeit wohl kaum mehr fortsetzen.

Schon die siebenwöchige Vorkonferenz, bei der das Gerüst für die Hauptkonferenz gezimmert wurde, hat gezeigt, daß bei gegenseitiger Kompromißbereitschaft Ergebnisse erzielt werden können. Es sollte ein gutes Omen für die Hauptkonferenz sein.

Wenn die KSZE nur ein Teü der Entspannungspolitik ist, dann ist Belgrad nur eine Etappe eines langfristigen Prozesses zur Verbesserung des Ost- West-Verhältnisses. Denn die Schwierigkeiten, die durch die Systemunterschiede immer wieder auftreten werden, lassen sich nicht von heute auf morgen überwinden. Es wäre unrealistisch, die Entspannungs politik abzubrechen, weil die Schlußakte von Helsinki nach zwei Jahren noch nicht voll realisiert ist. Warten auf Belgrad heißt hoffen, daß in der Entspannungspolitik ein weiterer Schritt nach vorne gemacht wird.

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