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„Wieviel overkill ?“

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„Ich weiß, daß das der Lieblingsgedanke vieler guter Europäer ist, und es tut mir leid, daß ich hier meine Zweifel anmelden muß; keine Frage: wirtschaftlich gesehen, könnte dieses demokratische Europa, das nun seiner Ausformung entgegengeht, eine zweite oder dritte Kraft werden. Aber es wäre verhängnisvoll, daraus politisch und militärisch Konsequenzen ziehen zu wollen. Die Politik, die heute gemacht wird, kann nicht davon abstrahieren, daß wir in einer Zeit leben, in der alles mehr oder weniger vom Kräftegleichgewicht der Supermächte und ihrer Verbündeten abhängig ist. Erst die Erkenntnis, daß es dieses Kräftegleichgewicht nun gibt, hat die gegenwärtige Entspannungspolitik ermöglicht, woraus durchaus der Schluß gezogen werden kann, daß die Störung dieses .Gleichgewichtes unter Umständen die Phase der Entspannung, wenn nicht beenden, so jedenfalls gefährden könnte. Die Entspannungspolitik ist eine äußerst subtile Sache, man kann sie jedenfalls nicht den Militärs, sicher auch nicht den Politikern allein überlassen. Den Militärs deshalb nicht, weil sie sich sehr schwer von gewissen Vorstellungen zu trennen vermögen und den Politikern nicht, weil sie sich dabei gelegentlich von innenpolitischen

Überlegungen leiten lassen. Die Entspannungspolitik muß ihre Verankerung im Willen der Völker finden. So gesehen, wird dieses Europa, das nun im Entstehen ist, für einen überschaubaren Zeitraum nicht die politische Kohäsion aufweisen, auch nicht die wirtschaftlichen und technologischen Voraussetzungen besitzen, die für eine dritte oder vierte weltpolitische Macht erforderlich wären. Übrigens, wieviel overkill capa-cities wollen wir uns eigentlich auf diesem Planeten noch leisten, da doch eine genügt, um ihn zu zerstören? Es kann, so meine ich, keine realistische Entspannungspolitik geben, die isoliert von der Politik der Vereinigten Staaten betrieben wird, es kann aber auch keine amerikanische Politik geben, die die neuen Entwicklungen in Europa ignoriert. Um es so eindeutig wie möglich zu formulieren: wir meinen, daß eine Voraussetzung einer realistischen Entspannungspolitik in Maximum an politischer Konvergenz zwischen den nordamerikanischen und europäischen Staaten ist. Allerdings stellt sich alsbald das Problem, ob ein Maximum an derartiger Konvergenz bei einer wirtschaftlichen Entwicklung möglich ist, die allzuwenig Bedacht nimmt auf die Zusammenarbeit mit den nordamerikanischen Demokratien. Aber auch mit den anderen Staaten der Welt muß es ein wachsendes Maß an Zusammenarbeit geben — aber dieses wird sich an anderen Problemen orientieren und vermutlich auch anders geregelt werden. Um es also ganz deutlich noch einmal zu sagen: die europäischen Integrationsbestrebungen müssen in steigendem Maße auf die Zusammenarbeit mit den Vereinigten Staaten von Amerika und mit Kanada Bedacht nehmen. Das wird um so zweckmäßiger sein, als sich doch der Abstand zwischen der Wirtschaft der Vereinigten Staaten und des demokratischen Europa langsam zu verringern beginnt und jedenfalls die Vereinigten Staaten keine alles dominierende Stellung mehr haben.“

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