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Titos Tod ist immer noch ein Risiko

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21 Tage lang ist Tito gestorben. Damit hat er seinem Volk vermutlich noch einen letzten großen Dienst erwiesen -dann nämlich, wenn die Gewöhnung an die titolose Zeit die Bevölkerung nicht eingeschläfert, sondern wachsam und den Ubergang reibungs-, die Jugoslawen aber nicht sorglos gemacht hat.

Denn Gründe für Wachsamkeit und Sorge gibt es weiter viele. Die Weltpolitik ist angespannt wie lange schon nicht mehr: Geiseldrama jüngst auch in London, dramatische Verschärfung des Nahostkonflikts und Unrast aller Art in aller Welt.

In Schweden versuchen die Gewerkschaften durch einen politischen Streik, der ein jahrzehntelang bewährtes Arbeitsfriedensmodell vernichtet hat, die nichtsozialistische Regierung zu stürzen.

In Santiago de Chile, wo ein Festgottesdienst für christliche Arbeiter zum 1. Mai wegen möglicher Zusammenstöße von der Regierung abgeblasen wurde, befürchtet Kardinal Erzbischof Raul Silva Henriquez „das Schlimmste”.

Der Tod Titos kann in einer labilen Welt Anlaß sowohl zur Besinnung wie auch zu noch riskanteren Abenteuern sein.

Vieles deutet daraufhin, daß führende Staatsmänner das Begräbnis des jugoslawischen Präsidenten für Gespräche über eine Eindämmung der Eskalation benützen wollen. Verfrüht freilich tut man derzeit so, als wäre dies bereits gelungen. So aber ist es nicht.

Man darf nicht vergessen: Das von Moskau gesteuerte kommunistische Imperium befindet sich in erheblichen politischen und vor allem wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Eben deshalb ist mit einer riskanten Abenteuerpolitik -zwecks Ablenkung von inneren Problemen und Vergatterung der Satelliten eher zu rechnen als in Zeiten einer Machtkonsolidierung.

Trotzdem darf man hoffen, daß auch die verantwortlichen Staatsmänner in Moskau die Größe des Risikos wohl zu bemessen wissen. Wenn man den bevorstehenden West-Ost-Kontakten auf höchster Ebene in Belgrad und eine Woche später bei den Staatsvertragsfeiern in Wien Erfolg und Segen wünscht, hat das mit Beschwichtigung nichts zu tun.

Niemand ist an einer Verschärfung der Spannungen, niemand ist an Konfrontation um der Konfrontation willen interessiert. Eine feste Haltung des Westens ist mit Entspannung nicht unvereinbar. Mehr noch: Nur jene macht diese überhaupt möglich!

Was die Sowjets zu ihrer expansionistischen Politik ermutigt und den Westen in letzter Zeit so demoralisiert hat, war nicht eine kluge Entspannungspolitik, sondern ein konzeptloses Lavieren zwischen Sorglosigkeit und rhetorischer Härte: einmal Honigseim und einmal Säbelrasseln, und das zweite schon, wenn das erste noch gar nicht zu Ende war.

Dringend ist zu hoffen, daß mit dem Amtsantritt eines als Anhänger einer überlegten Entspannungspolitik bekannten Senators als US-Außenminister der Westen möglichst rasch die Erarbeitung einer glaubwürdigen kollektiven Abwehr- und Kooperationsstrategie gelingt, die keinen Zweifel darüber zuläßt:

Niemand soll, darf, wird die UdSSR angreifen. Aber der Westen wird auch nirgendwo und niemals dulden, daß Moskau sich umgekehrt verhält.

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