Die Dämonen der Weltkriege sind geblieben
Vor 110 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor bald 85 Jahren der Zweite. Wie konnte es dazu kommen? In Zeiten multipler Eskalationen und Kulturkämpfe lohnt der Blick zurück.
Vor 110 Jahren begann der Erste Weltkrieg, vor bald 85 Jahren der Zweite. Wie konnte es dazu kommen? In Zeiten multipler Eskalationen und Kulturkämpfe lohnt der Blick zurück.
Pathetische Reden über die Demokratie und den Weltfrieden gehören zu sommerlichen Großveranstaltungen wie Mückenplagen und die Angst vor schlechtem Wetter. Wer immer vor die Versammelten tritt, appelliert an das Gute im Menschen und den Zusammenhalt. Wie kurz die Halbwertszeit solcher Aufrufe sein kann und wie rasch sie von völlig anderen, sich aufschaukelnden, ja toxischen Debatten überrollt werden können, hat die Eröffnung der Olympischen Spiele in Paris gezeigt. Nach gigantomanischen vier Stunden und IOC-Ansprachen über Völkerverständigung und Liebe folgte kein Rausch der Harmonie, sondern ein globaler Kulturkampf über die – vermeintliche – Verächtlichmachung des Letzten Abendmahls.
Es gibt freilich auch Reden, die haften bleiben. Bei den diesjährigen Salzburger Festspielen war es kurioserweise weniger jene der US-Politologin Nina Chruschtschowa (die ob ihrer Verteidigung russischer Kultur auch heftig kritisiert wurde), sondern die Ansprache des Salzburger Landeshauptmanns. Anlässlich des Festivalmottos „Zwischen Himmel und Hölle“ entfaltete Wilfried Haslauer eine Dämonologie – von Jonathan Glazers Film „The Zone of Interest“ über die ganz normale Familienidylle des Auschwitzer Lagerkommandanten Rudolf Höß bis zur heutigen „Banalität des Bösen“ (Hannah Arendt). „Das große Problem unserer Zeit ist die Langeweile. Wir sollten doch wieder einmal einen Krieg führen!“, zitierte Haslauer einen Gast einer Veranstaltung vom April dieses Jahres.
Schlafwandelnd in die Katastrophe
Solche Sätze sind umso schockierender, als sich gerade dieser Tage nicht nur die Eskalationen häufen – von der Lage in Nahost bis zu Donald Trump, der von einem „Weltkrieg“ fabuliert, falls er im November nicht gewinnen sollte –, sondern sich auch der Beginn der beiden großen Katastrophen des 20. Jahrhunderts jährt. Es war am 28. Juli 1914, einen Monat nach dem Attentat auf Thronfolger Franz Ferdinand und seine Frau Sophie Chotek, als Kaiser Franz Joseph in Bad Ischl sein Manifest „An Meine Völker“ und damit die Kriegserklärung an Serbien unterschrieb. Was folgte, waren rund 20 Millionen Tote und unzählige Traumatisierte. Wie „Schlafwandler“ waren Europas Mächte in diese Katastrophe gestolpert, analysierte der Historiker Christopher Clark in seinem gleichnamigen Standardwerk.
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