Guter Geschichtenschmied

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Paul Austers neuer Roman: Trotz aller Einwände Unterhaltung auf hohem Niveau.

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Paul Austers neuer Roman: Trotz aller Einwände Unterhaltung auf hohem Niveau.

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Eine ideale Erzählgemeinschaft als Gegenwelt in finsteren Zeiten: das alte Modell zeitigt immer wieder moderne Varianten, an denen die Defizite der Gegenwart schlaglichtartig sichtbar werden. Jüngstes Beispiel: Paul Austers "Brooklyn-Revue". Diesmal hat der Vollblut-Erzähler auf seine kunstvoll eingelagerten Binnengeschichten verzichtet und ganz auf eine sich chronologisch entwickelnde Handlung gesetzt.

Die Hoffnung aus ...

Nathan Glass, Frühpensionist, geschieden und krebskrank, sucht in Brooklyn einen ruhigen Ort zum Sterben. Aber dazu kommt es nicht, denn er wird in das turbulente, unvorhersehbare Leben involviert. Das beginnt damit, dass er zufällig seinen Neffen Tom Wood trifft: ehemals ein zu allen Hoffnungen berechtigender Student, danach Taxi-Fahrer und jetzt Verkäufer in einem Antiquariat.

Der Antiquar, ein klischeehafter Homosexueller mit Seidentüchlein, nennt sich Harry Brightman, hat aber ursprünglich Dunkel geheißen - Auster ist das Namensspiel nicht zu banal, um auf die kriminelle Vergangenheit des Mannes hinzuweisen. Zusammen mit einem Maler hat er die Bilder eines Berühmten gefälscht, und nach Gefängnis und langer Enthaltsamkeit braucht er wieder den großen Kick: diesmal soll ein berühmtes "Originalmanuskript" hergestellt werden.

Bis das misslingt, laufen turbulente Szenen ab und sehr viel Familiengeschichte: Nathans Nichte hat nämlich Hippie-Szene und Drogen über die Rolle als Sex-Modell bis zu christlichen Fundamentalisten so ziemlich alles ausprobiert und muss nun ihre Tochter, um sie aus den Fängen letzterer zu befreien, zu Tom schicken. Aber sie landet bei Nathan, der zuerst ratlos und überfordert ist, aber das Mädchen bald fürsorglich liebgewinnt. Aus dem alten Griesgram wird ein sorgsamer Mann voll Interesse und Zuwendung. Das kann Paul Auster so glaubwürdig und mit genauen Szenerien erzählen, dass man gerne in diesem modernen Märchen versinkt.

Wenn doch Paul Auster nur dabei bliebe! Aber er muss zeigen, dass er noch mehr kann und will. Die schönste Idylle in einem einsamen Hotel, wo sich alle Probleme zu lösen scheinen, wird ausgerechnet durch Gedanken an "die Schrecken von Sarajevo und im Kosovo" gestört - völlig unmotiviert. Auch eine Prise Holocaust-Nachgeschichte ist in den Roman gestreut: darunter tut es Paul Auster offenbar nicht. Und erst die literarischen Anspielungen: Nicht nur, dass Nathan auf Lessing verweist, sogar Pangloss aus Voltaires "Candide" lässt grüßen.

... gescheiterten Existenzen

Aber man mag sich ärgern wie man will, ganz entgeht man dem raffinierten Geschichtenschmied trotzdem nicht. Die Sympathie gegenüber Gescheiterten, die detailreiche Wahrnehmung individueller Lebenswege erzeugen ein warmes Timbre von Zugewandtheit und Optimismus, der nie dümmlich wird. Wo Paul Auster nämlich des Guten nicht zu viel tut und seine vielfältigen Anspielungen nicht einfach als Glanzlichter aufsteckt, sondern entwickelt, integriert er die Reflexion in seine bunten Geschichten: etwa in der schönen Erzählung von Kafka, der so viel Mühe auf Briefe an ein kleines Mädchen verwandte, um ihr den Abschied von ihrer verlorenen Puppe zu erleichtern.

Und auch wenn manche politische Statements der Figuren verdächtig nach abgelaichten Phrasen aussehen, so ist es doch ein genialer Coup, die multikulturelle Brooklyn-Idylle genau im Vorfeld des 11. September 2001 anzusiedeln.

Kein Zweifel: Paul Auster hat schon raffiniertere Erzähl-Labyrinthe gebaut, aber eines ist die Brooklyn-Revue sicher: gute Unterhaltung, in die man für einige Stunden gerne abtaucht und seine Umwelt vergisst - um dann erholt und optimistischer wieder aufzutauchen. Beileibe nicht die größte Leistung von Literatur, aber auch nicht zu verachten.

Die Brooklyn-Revue

Roman von Paul Auster

Deutsch von Werner Schmitz

Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2006, 351 Seiten, geb., e 20,50

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