Liebe ohne Romantik
FOKUSFreundschaft: Die wahre Seelenverwandschaft?
Wir glorifizieren die Romantik und unterschätzen die Freundschaft, sagt etwa die Autorin Rhaina Cohen. Über die Geschichte und Bedeutung der platonischen Liebe.
Wir glorifizieren die Romantik und unterschätzen die Freundschaft, sagt etwa die Autorin Rhaina Cohen. Über die Geschichte und Bedeutung der platonischen Liebe.
Zwei Männer, Seite an Seite, ihre Hände zum Gebet gefaltet. Auf dem Boden einer Kapelle des Merton Colleges der Universität Oxford befindet sich das etwa 1420 errichtete Bildnis von John Whytton und John Bloxham. Darunter liegt ihre – gemeinsame – letzte Ruhestätte. Warum ließen sich die beiden Männer zusammen begraben? Der britische Historiker Alan Bray erwägt eine erstaunliche These: War das Monument der Beweis für eine in Vergessenheit geratene Praxis gleichgeschlechtlicher Ehen? Immerhin gleicht das Design der Merton-Gravur jenen Grabstätten, in denen sich wohlhabende Ehepaare im mittelalterlichen England bestatten ließen. Brays Theorie ist brisant. Offiziell anerkannte, homosexuelle Ehebündnisse im 14./15. Jahrhundert, das wäre eine historische Sensation – die aber ausbleibt. Die Verbundenheit der beiden Johns birgt ein anderes Geheimnis, das Bray erst Jahrzehnte später lüftet: Sie waren Freunde.
Adelphopoiesis nennt Claudia Rapp, die am Institut für Byzantinistik und Neogräzistik der Universtität Wien forscht, das bis ins frühe 20. Jahrhundert verbreitete christlich-orthodoxe Ritual, das aus Männern spirituelle Brüder machte. Der Begriff setzt sich aus den griechischen Wörtern für „Bruder“ und „machen“ zusammen. Ähnliche ritualisierte Verbindungen zwischen Männern, eventuell auch Frauen, existierten vielerorts in Europa, Asien und im mittleren Osten. Manche dieser Bündnisse sollten strategische Allianzen zwischen Familien sichern, doch häufig brachten sie schlicht eine tiefe Zuneigung zum Ausdruck. Diese ging so weit, dass sich einige sogar mit ihren Schwurbrüdern anstelle ihrer Ehefrauen begraben ließen.
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