Baby - Nahaufnahme eines Babies in seinem Bett

Krisenpflege: Wenn Eltern zur Gefahr werden

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Werden Kinder in ihren Familien misshandelt oder sind sie potenziell gefährdet, muss die Behörde eingreifen und sie aus den Familien nehmen. Bis geklärt ist, wo sie auf Dauer bleiben können, schenken Krisenpflegeeltern ihnen ein Zuhause auf Zeit. Ein Besuch.

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Werden Kinder in ihren Familien misshandelt oder sind sie potenziell gefährdet, muss die Behörde eingreifen und sie aus den Familien nehmen. Bis geklärt ist, wo sie auf Dauer bleiben können, schenken Krisenpflegeeltern ihnen ein Zuhause auf Zeit. Ein Besuch.

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In den Nächten ist Renate Krammer gerade viel auf den Beinen. Wie das eben so ist, wenn man ein Neugeborenes zu versorgen hat. Krammer wärmt Milch und wechselt Windeln, sie tröstet und wiegt das Baby wieder in den Schlaf. Sie macht all das, was Eltern eines Kindes normalerweise tun. Nur dass Renate Krammer weder die Mutter noch die Großmutter des Kindes ist, das bei ihr wohnt, noch auf eine andere Weise verwandt ist mit ihm. Und doch war in ihrer Wohnung innerhalb weniger Stunden alles vorbereitet, bevor die Kleine – nennen wir sie Livia – vor zwei Wochen bei ihr eingezogen ist: ein Bettchen, Fläschchen und Babynahrung, ein passender Kinderwagen, bunte Strampler. Denn Renate Krammer ist Krisenpflegemutter.

Kinder zwischen null und drei Jahren, die aufgrund einer drohenden Gefährdung nicht bei ihren Eltern bleiben können, finden bei ihr für einige Monate ein Zuhause. „Die Kinder tragen alle einen schweren Rucksack. Ich möchte ihnen eine schöne Zeit schenken, damit sie den Glauben an die Menschheit nicht verlieren“, sagt Krammer. Und: „Irgendwo in ihnen soll abgespeichert sein, dass es auch Gutes und Schönes gibt– anders, als sie es zu Hause erlebt haben.“

Vorsichtiges Trösten

An diesem Tag sitzt Renate Krammer in der freundlichen Wohnküche ihrer Wiener Wohnung, eine Spuckwindel über der Schulter, die schlafende Livia im Arm. „Sie ist ein ganz liebes Baby“, sagt die 59-Jährige mit den kinnlangen, dunklen Haaren und den pinken Blumenohrringen lächelnd und streichelt dem Baby über den Kopf. Die Arbeit von Krisenpflegeeltern kannte die ehemalige Ordinationsassistentin seit Langem aus nächster Nähe, bevor sie sich entschloss, selbst Krisenpflegemutter zu werden. „Meine Freundin macht das seit 25 Jahren. Ich wusste, dass es immer Bedarf gibt.“ Krammer absolvierte die nötige Ausbildung und trat vor zweieinhalb Jahren ihren Dienst an. Elf Kinder hat die Mutter einer erwachsenen Tochter seitdem bei sich aufgenommen. Sie deutet auf eine Fotocollage an der Wohnzimmerwand, auf der zufriedene Babys und lachende Kleinkinder zu sehen sind. „Wenn die Kinder bei mir ankommen, sind sie oft blass, ihre Augen schauen ins Leere. Manche wirken sehr verängstigt, andere aggressiv. Mit der Zeit verändert sich ihre Gesichtsfarbe, und ich merke richtig, wie sie aufblühen. Sie beginnen wieder zu sprechen, kuscheln sich an mich, und ihre Haare wachsen wieder. Das zu erleben, ist wunderschön.“

Dass Kinder ihren leiblichen Eltern abgenommen werden, sei das allerletzte Mittel, erklärt Monika Hummel, Sozialarbeiterin beim Referat für Adoptiv- und Pflegeeltern der Stadt Wien. Dazu kommt es dann, wenn ein Kind verwahrlost, misshandelt wird oder die Eltern es auch mit Unterstützung des Jugendamtes nicht schaffen, sich gut zu kümmern. In diesen Fällen wird es vorübergehend bei Krisenpflegeeltern untergebracht; ist es über drei Jahre alt, in einem Krisenzentrum.

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