Guter Rat für Europa - In den 1950er-Jahren tagte der Europarat mangels eines eigenen Versammlungsorts noch in der Universität Straßburg. - © akg-images / picturedesk.com

Botschafter Domenik Wanger über den Europarat: „Damit wir in keine Schieflage geraten“

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Liechtenstein führt zum 75-Jahr-Jubiläum den Vorsitz im Europarat. Botschafter Domenik Wanger über den Balanceakt, Werte und Einigkeit zu bewahren.

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Liechtenstein führt zum 75-Jahr-Jubiläum den Vorsitz im Europarat. Botschafter Domenik Wanger über den Balanceakt, Werte und Einigkeit zu bewahren.

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Der Vorsitz im Ministerkomitee des Europarats in Straßburg wechselt im Sechs-Monate-Rhythmus – und richtet sich nach dem englischen Alphabet. Liechtenstein hat das Amt von Lettland übernommen und wird nach der Ministerkonferenz am 17. Mai an Litauen übergeben .

DIE FURCHE: Herr Botschafter, am Weg zu Ihnen ist an mir eine Straßenbahn mit dem Logo des liechtensteinischen Vorsitzes vorbeigefahren. Wohin will Liechtenstein den Europarat führen?

Domenik Wanger: Besonderes Augenmerk unserer Präsidentschaft legen wir auf die Förderung einer zukunftsgerichteten und inklusiven Ausrichtung des Europarats. Gleichzeitig war es uns ein Anliegen, seine Visibilität in Liechtenstein zu steigern. Man kennt den Europarat dort kaum, weiß nicht, wofür er steht. Deswegen wollten wir unseren Vorsitz nutzen, um den Europarat bekannter zu machen. Ein besonderes Anliegen war uns, Kinder und Jugendliche an den liechtensteinischen Schulen mit Projekten einzubinden, die sich mit dem Europarat befassten.

DIE FURCHE: Wie erklären Sie Kindern und Jugendlichen den Europarat?

Wanger: Mit etwas, was alle in Liechtenstein kennen. Der Rhein ist unser Grenzfluss zur Schweiz; aber auch an Straßburg führt der Rhein vorbei, markiert die Grenze zu Deutschland. Der Europarat, sage ich, ist so wie ein Rheinfrachter, auf dem alle sechs Monate die Kapitänin bzw. der Kapitän wechselt. In diesem halben Jahr ist Liechtenstein der Käpt’n. Wir haben die Verantwortung, dass der Frachter in keine Schieflage gerät oder auf keiner Sandbank strandet. Wir müssen schauen, dass unsere Fracht, sprich die Aufgaben und Prinzipien des Europarats, in den Mitgliedsstaaten ankommen; schließlich ist es unsere Aufgabe, dass wir die Einheit der 46 Staaten, die auf diesem Schiff unterwegs sind, behalten.

DIE FURCHE: Wie ist es um die Einheit zum 75-Jahr-Jubiläum bestellt?

Wanger: Seit seiner Gründung hat sich Europa und auch der darin eingebettete Europarat verändert und weiterentwickelt. Damit der Europarat nach wie vor relevant und funktionsfähig bleibt, muss er sich stetig erneuern und modernisieren. Die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedsstaaten haben das erkannt und voriges Jahr beim Gipfel in Reykjavik eine Prioritätenliste beschlossen. Die Beteiligung junger Menschen und Digitalisierung stehen ganz oben. Neben der Förderung der Demokratie und der Umsetzung der Urteile des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wurde in Reykjavik aber auch ein Schadenregister zur Dokumentation russischer Verbrechen und Zerstörungen in der Ukraine beschlossen (siehe Fakt-Kasten weiter unten). Diese Prioritäten Schritt für Schritt umzusetzen, ist Aufgabe der Vorsitzstaaten. Das ist, auf Liechtensteinisch gesagt, ein „Hosen-Lupf“, also keine „gmaade Wiesn“, sondern eine große Aufgabe für alle Staaten – und natürlich auch für uns. Aufgrund der geopolitischen Lage sind wir in turbulentem Wasser unterwegs. Gerade da ist es wichtig, dass wir den Europarat ein Stück weiterbringen.

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