Meditation psychedelisch - © Illustration: iStock/DrAfter123

Thomas Metzinger: „Wir sollten die Nerven behalten“

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Thomas Metzinger ist der Vordenker einer Bewusstseinskultur in einer Zeit der planetaren Krise. Der deutsche Philosoph über Tiefenerfahrungen in der Meditation, wissenschaftlich fundierte Spiritualität sowie unheimliche Ausblicke auf eine erwachende künstliche Intelligenz.

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Thomas Metzinger ist der Vordenker einer Bewusstseinskultur in einer Zeit der planetaren Krise. Der deutsche Philosoph über Tiefenerfahrungen in der Meditation, wissenschaftlich fundierte Spiritualität sowie unheimliche Ausblicke auf eine erwachende künstliche Intelligenz.

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„Was wäre, wenn wir uns als Ziel nicht die Landung auf dem Mars gesetzt hätten, sondern die Landung im reinen Bewusstsein?“ Das „reine Bewusstsein“ war bislang eine Domäne der Meditation und Mystik. In seinem jüngsten Buch „Der Elefant und die Blinden“, aus dem das obige Zitat stammt, liefert Thomas Metzinger nun eine eindrucksvolle wissenschaftliche Annäherung an dieses Phänomen. Ausgangspunkt ist eine umfangreiche Online-Studie, die der deutsche Philosoph mit 3500 Personen aus 57 Ländern durchgeführt hat. Es waren Menschen mit einer regelmäßigen Meditationspraxis, die in unterschiedlichen spirituellen Traditionen praktizierten (Zen, Vipassana, Transzendentale Meditation, MBSR etc.). Ihre Erfahrungsberichte liefern deutliche Hinweise auf die Qualitäten des „reinen Bewusstseins“: Dazu zählen z.B. Entspannung, Frieden, Stille, Klarheit, Verbundenheit, Ehrfurcht, Glückseligkeit und Dankbarkeit. Wer das Buch liest, versteht schnell: Es handelt es sich um wertvolle Bewusstseinszustände.

Was also wäre gewesen, wenn sich eine neue Variante gesellschaftlicher Entwicklung durchgesetzt hätte – eine „Bewusstseinskultur“, bei der es nicht primär um Wirtschaftswachstum, sondern um inneres Wachstum, um die Kultivierung wertvoller Bewusstseinszustände geht? Es ließe sich „durchaus plausibel dafür argumentieren, dass viele von uns dann auf individueller Ebene ein viel besseres und reicheres Leben gehabt hätten“, so Metzinger. „Möglicherweise hätten wir sogar die planetare Krise gestoppt, bevor uns die Chance dazu entglitten wäre.“ Auch das mögliche Scheitern der Menschheit bei der Bewältigung der Klimakrise wird im Werk des Philosophen verhandelt.

Seine wegweisenden und kontrovers diskutierten Arbeiten zum Leib-Seele-Problem, zu Naturalismus und Spiritualität werden am 28. und 29. Juni bei einem philosophisch-theologischen Symposion im Otto Mauer-Zentrum in Wien zur Debatte stehen. Die FURCHE traf Thomas Metzinger vorab zum Zoom-Interview.

DIE FURCHE: Wie sind Sie auf das Thema des reinen Bewusstseins gestoßen: durch eigene Erfahrungen als Langzeit-Meditierender oder durch die vielen historischen Texte, in denen diese Erfahrung beschrieben ist – von fernöstlichen Weisheitstraditionen bis zu den christlichen Mystikern wie Meister Eckhart?

Thomas Metzinger: Als akademischer Philosoph habe ich mich fast 40 Jahre mit dem Problem des Bewusstseins beschäftigt. Ich hatte also ein theoretisches Interesse, habe aber zugleich regelmäßig meditiert – seit 47 Jahren zumindest zweimal am Tag. Schon als junger Mann war ich der Auffassung, dass man das Thema ernsthaft von vielen Seiten angehen muss. Dass man einfach alle Erkenntnismethoden austesten muss, die es gibt: nicht nur über das begriffliche Denken, die analytische Philosophie oder die Neuro- und Kognitionswissenschaften, sondern auch über die kontemplativen Traditionen, die die Menschheit über Jahrtausende entwickelt hat.

DIE FURCHE: Gab es für Sie eine Initialzündung auf dem Weg in die Bewusstseinsforschung?

Metzinger (lacht): Einer der schwersten Erziehungsfehler meines Vaters bestand darin, Aldous Huxleys Buch „Die Pforten der Wahrnehmung“ auf seinem Nachttisch liegen zu lassen. Darin beschreibt der englische Schriftsteller die drastischen Bewusstseinsveränderungen in seinem eigenen Meskalin-Experiment. Ich habe das Buch mit 16 in die Finger bekommen und heimlich gelesen. Das war eine wesentliche Weichenstellung in meinem Leben. Noch wichtiger war aber „Die Lehre des Buddho“ von Georg Grimm, das ich am selben Ort stibitzte.

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