Philip Campbell - © Wikimedia / World Economic Forum swiss-image.ch / Moritz Hager

"Nature"-Chef Philip Campbell: "Das Wort 'Wahrheit' ist gefährlich"

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In "Nature" zu publizieren, gilt Wissenschaftern als Krönung ihrer Mühen. Philip Campbell, Chefredakteur des renommierten Magazins und Referent bei den Alpbacher Technologiegesprächen, über "intelligent design", wissenschaftliche Unsicherheit und journalistische Vereinfachung.

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In "Nature" zu publizieren, gilt Wissenschaftern als Krönung ihrer Mühen. Philip Campbell, Chefredakteur des renommierten Magazins und Referent bei den Alpbacher Technologiegesprächen, über "intelligent design", wissenschaftliche Unsicherheit und journalistische Vereinfachung.

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DIE FURCHE: Was müsste passieren, damit Sie in "Nature" einen Artikel über "intelligent design" abdrucken?

Philip Campbell: Wenn dieser Artikel wirklich wissenschaftlich wäre, würden wir ihn publizieren. Aber "intelligent design" ist per definitionem nicht Wissenschaft, sondern nur das Statement, dass man in einer Erklärungslücke der Evolution einen intelligenten Designer braucht - wobei ich selbst nicht glaube, dass es eine solche Lücke gibt. Wer die Welt mit dieser Phrase zu erklären versucht, tut das aus seiner Glaubensüberzeugung heraus. Und so etwas hat in "Nature" keinen Platz. Wenn aber jemand etwas schreiben würde über den Einfluss, den die These vom "intelligent design" in Amerika ausübt, dann würden wir es vielleicht bringen.

DIE FURCHE: Hat "Nature" jemals einen Artikel publiziert, der mit religiösen Phänomenen zu tun hatte?

Campbell: Was wir gelegentlich publiziert haben, waren Forschungsergebnisse über die Effekte von Meditation. Über die Auswirkungen des Gebets haben wir bislang nichts veröffentlicht.

DIE FURCHE: Zumindest ethische Überlegungen spielen in vielen Forschungsgebieten eine Rolle - etwa in der embryonalen Stammzellforschung. Wie gehen Sie persönlich mit so umstrittenen Themen um?

Campbell: Ich akzeptiere die Einstellungen christlicher Gruppierungen über den Status des Embryos, dessen Lebensrecht ihrer Meinung nach über allen anderen Interessen steht. Aber es gibt andererseits auch das Recht leidender Menschen, dass man ihre Krankheit zu behandeln versucht. Meine persönliche Meinung zur Haltung der katholischen Kirche bezüglich Embryonenforschung ist, dass diese Haltung - so wie ich sie verstehe - nicht mit der Bibel zu begründen ist, sondern mit katholischen Dogmen, die sich über Jahrhunderte entwickelt haben.

DIE FURCHE: In der Dogmatik spricht man von "Wahrheit" - ein Begriff, der in der Wissenschaft vermieden wird. Andererseits spielen in manche Forschungsbereiche durchaus persönliche "Wahrheiten" hinein - etwa beim Thema Klimawandel ...

Campbell: Wahrheit und Wissenschaft sind für mich zwei sehr unterschiedliche Konzepte. Wissenschaft arbeitet mit Behauptungen, zum Beispiel: Ein Apfel, der vom Baum fällt, wird immer am Boden darunter auftreffen und bis zu einer bestimmten Geschwindigkeit beschleunigen. Für mich ist diese Behauptung wahr, weil sie bis jetzt jede Überprüfung bestanden hat. Bezüglich des Klimawandels ist das Wort "Wahrheit" hingegen ziemlich gefährlich. Deshalb sollte man auch die Aussage, dass die Menschheit diesen Klimawandel provoziert hat - woran ich persönlich absolut glaube - nicht in den Rang einer absoluten Wahrheit erheben. In der Wissenschaft geht es eben darum, mit Unsicherheiten umzugehen. Und man sollte der Öffentlichkeit auch zutrauen, diese Unsicherheiten auszuhalten.

DIE FURCHE: In "Nature"-Beiträgen haben Unsicherheiten wohl keinen Platz: Wie lange werden Artikel vor der Veröffentlichung geprüft?

Campbell: Es kann nur einige Tage dauern, einen Artikel zu bewerten: Wenn es ein sehr dringender Beitrag ist, dann rufen wir unsere Gutachter schon vorher an ...

DIE FURCHE: Wie im Februar 2001, als es ein Wettrennen zwischen "Science" und "Nature" um die erste Veröffentlichung der Sequenzdaten des menschlichen Erbguts gab?

Campbell: Damals war es ab einem gewissen Zeitpunkt tatsächlich dringlich. Die drei Gutachter, an die der Beitrag geschickt wurde, haben deshalb sehr intensiv daran gearbeitet. Sie waren aber zugleich sehr sorgfältig: Am Ende haben wir seitenweise Korrekturhinweise an die Autoren zurückgeschickt.

DIE FURCHE: Wie wichtig ist für Sie neben der wissenschaftlichen auch die sprachliche Qualität eines Beitrags?

Campbell: Wir versuchen hier möglichst neutral zu bleiben. Prinzipiell ist es unsere Aufgabe, den Leuten zu helfen, sich so präzise und gut wie möglich auszudrücken - wobei wir kurioserweise feststellen, dass die Qualität der englischen Texte von Leuten, deren Muttersprache nicht Englisch ist, oft jene von englischsprachigen Autoren übertrifft.

DIE FURCHE: Um Qualität zu prüfen, muss man selbst kompetent sein. Wie hoch schätzen Sie die Kompetenz der heutigen Wissenschaftsjournalisten ein?

Campbell: Was die amerikanische und britische Presse betrifft - und nur die verfolge ich im Detail - so ist die Kompetenz ziemlich hoch. Oft ist es aber so, dass besonders kontroversielle Themen nicht von den Wissenschaftsjournalisten bearbeitet werden, und dann sinkt die Qualität natürlich. Manchmal gibt es auch Journalisten, die von einer bestimmten Philosophie getrieben sind - etwa Skepsis gegenüber einer Technologie - und das färbt ihre Beiträge. Aber es kommt relativ selten vor, dass Geschichten völlig falsch sind. Das hat sich in den letzten 15 Jahren sehr verbessert.

DIE FURCHE: Die große Herausforderung im Wissenschaftsjournalismus ist, komplizierte Zusammenhänge verständlich darzustellen.Wie viel Vereinfachung ist erlaubt?

Campbell: Ein guter Wissenschaftsjournalist sollte die wissenschaftlichen Zusammenhänge verstehen können und dann den notwendigen Grad an Vereinfachung erreichen, damit die breite Öffentlichkeit den Beitrag versteht. Schon Albert Einstein hat gesagt: "Alles sollte so simpel wie möglich gemacht werden - aber nicht simpler."

DIE FURCHE: Wie reizvoll ist es für Sie, auch die Öffentlichkeit von "Nature" zu verbreitern - über die scientific community hinaus?

Campbell: Das versuchen wir schon, wobei uns das Internet dabei sehr unterstützt. Wir haben ja ein Online-Nachrichtenservice, das für jeden zugänglich ist.

DIE FURCHE: Wobei manche fürchten, dass durch "Cyber Science" ältere Beiträge, die nur auf Papier vorliegen, vergessen werden könnten ...

Campbell: Das ist natürlich ein Problem: Wenn es von Texten keine elektronische Version gibt, werden die Leute nicht unbedingt in die Bibliothek gehen, um sie dort auf Papier zu suchen. Das Ermutigende ist aber, dass viele Journale ihre zurückliegenden Beiträge sukzessive digitalisieren. Die Zugänglichkeit zu diesen Texten wird sich also verbessern.

DIE FURCHE: Zumindest in der wöchentlichen Papierausgabe müssen Sie entscheiden, welchen Beitrag Sie am Cover bringen. Was ist ausschlaggebend für die Ihre Wahl?

Campbell: Es muss sich natürlich um eine wichtige wissenschaftliche Neuerung handeln - aber andererseits betrachten wir alle unsere Beiträge als wichtig. Wenn also jemand mit einem wirklich guten Bild zu uns kommt, erhöht das sicher seine Chancen, am Cover zu landen.

DIE FURCHE: Wie oft war Anton Zeilinger schon auf Ihrem Cover?

Campbell: Ich habe nicht mitgezählt. Ich weiß nur, dass wir eine Zeit lang Probleme gehabt haben, Bilder zu finden, denn Quantenoptik zu illustrieren kann recht langweilig werden. Aber Zeilinger ist dann mit einigen sehr netten Ideen zu uns gekommen, wie man das anschaulich darstellen könnte. Die wirklich guten Wissenschafter machen das so.

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