Frankreich - © Foto: IMAGO / ABACAPRESS

Rechtsruck in Frankreich verschoben: Wahlrecht rettet linkes Bündnis

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Frankreichs Wahlergebnis bringt neue Herausforderungen für die Regierung und die EU. Trotz Stimmgewinnen kann keine Partei eine klare Mehrheit bilden, was die politische Landschaft Europas verändert.

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Frankreichs Wahlergebnis bringt neue Herausforderungen für die Regierung und die EU. Trotz Stimmgewinnen kann keine Partei eine klare Mehrheit bilden, was die politische Landschaft Europas verändert.

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Während Labour im Vereinigten Königreich mit 34 Prozent der Stimmen 63 Prozent der Sitze im britischen Unterhaus errang und somit umgehend mit dem Regieren beginnen kann, hat der eigentliche Sieger der französischen Wahlen – der rechtspopulistische Rassemblement National (RN) – nur den dritten Platz geschafft. Im ersten Wahlgang am 30. Juni hatte Marine Le Pens Partei rund ein Drittel der Stimmen gewonnen, und es wurde schon vom großen Rechtsruck in Frankreich gesprochen. Nun sieht das nach dem zweiten Wahlgang anders aus. Zwar erreichte der RN wiederum landesweit die meisten Stimmen (neun Millionen), der große Überraschungssieger des letzten Sonntags ist jedoch das vom Linkspopulisten Jean-Luc Mélenchon angeführte Linksbündnis Nouveau Front populaire (NFP): Dank des französischen Wahlrechts erlangte es mit fünf Millionen Stimmen landesweit den ersten Platz in der Nationalversammlung mit 182 der insgesamt 589 Mandate. Das künftige Regieren in Frankreich wird damit nicht einfacher. Keine der drei Gruppierungen – NFP, RN wie auch das Präsidentenbündnis Ensemble – verfügt über eine eigene Mehrheit.

Mit Blick auf die Europäische Union macht das französische Wahlergebnis es jedenfalls nicht unbedingt leichter, was die dort anstehenden Entscheidungen und Weichenstellungen angeht. Einerseits ist man natürlich froh, dass der prognostizierte Rechtsruck ausblieb. Andererseits weiß man aber auch, dass dies nur dem zweistufigen Mehrheitswahlrecht Frankreichs und den dort üblichen unzähligen Absprachen auf Wahlkreisebene zu verdanken ist. Hätte man nämlich in Frankreich – so wie etwa bei der EU-Wahl vorgeschrieben – nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit gewählt, wäre Marine Le Pens Wahlbündnis nun stärkste Fraktion in der Nationalversammlung und könnte den Anspruch auf den Premierminister stellen.

Rechter Sieg nur verschoben?

Während man in Paris also seine Wunden leckt und davon spricht, dass der unausweichliche nationale Wahlsieg eben nur verschoben sei, hat Marine Le Pen noch am Sonntagabend verkündet, dass sich die EU-Abgeordneten des Rassemblement National – immerhin die an Mandaten stärkste nationale Delegation im neugewählten Europaparlament (zahlenmäßig gleichauf mit Deutschlands CDU/CSU) – der neuen Fraktion „Patrioten für Europa“ anschließen werden. Damit ist das von Herbert Kickl, Viktor Orbán und Andrej Babiš vor zwei Wochen in Wien aus der Taufe gehobene Rechtsbündnis auf dem besten Weg, aus dem Stand drittgrößte Fraktion im EU-Parlament zu werden. Nennschluss für die Fraktionsbildung ist am 15. Juli – am Tag danach konstituiert sich das neugewählte Europaparlament in Straßburg.

Und seit dem Wahltag am 9. Juni hat sich dort so einiges getan. Einerseits durch Mandatsverluste und -gewinne, aber auch durch diverse Wechsel von einer Fraktion in die andere (so waren die Abgeordneten von Andrej Babiš etwa bisher Teil der liberalen Fraktion Renew) bahnt sich ein neues Kräfteverhältnis an. Zwar bleibt die Europäische Volkspartei unangefochten stärkste Fraktion, gefolgt von den Sozialdemokraten an zweiter Stelle. Doch dahinter bleibt kein Stein auf dem anderen. Die bisherige drittgrößte Fraktion – die der Liberalen – wird sich künftig mit dem fünften Platz begnügen müssen. Als neue Dritten positionierten sich die Patrioten für Europa als Sammelbecken der Rechten und Ultrarechten Europas. Viertgrößte Fraktion wird die von Giorgia Melonis Abgeordneten angeführte Fraktion der Konservativen und Reformer. Sechstgrößte Fraktion werden die Grünen, kleinste und siebte Fraktion die Linken.

Neues Kräfteverhältnis im Europaparlament

Diese Umgruppierungen haben unmittelbare Auswirkungen auf die künftige Arbeit im Europaparlament: So werden etwa die Vorsitze in den einzelnen Ausschüssen nach Fraktionsgröße vergeben, größere Fraktionen schicken auch mehr Mitglieder in Ausschüsse. In der Folge wirkt sich das auch auf die beiden Wahlsieger der EU-Wahl in Österreich aus: Die sechs EU-Abgeordneten der FPÖ werden in der drittgrößten Fraktion starten. Dies bietet ihnen eine viel größere politische Bühne – und mehr Redezeit – als in der vergangenen Periode, als sie noch Teil der Fraktion der Identität und Demokratie waren. Auf der anderen Seite finden sich die beiden Neos-Abgeordneten in einer massiv geschwächten Fraktion wieder. Vom dritten auf den fünften Fraktionsplatz abgerutscht bedeutet weniger Einfluss und weniger Plätze in prestigeträchtigen Ausschüssen.

Nach der Wahl des Parlamentspräsidenten, seiner Stellvertreter und diverser anderer Funktionen wird sich das Europaparlament am 18. Juli gleich seiner ersten großen Herausforderungen stellen müssen: der Wiederwahl der EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen. Vor fünf Jahren gelang die Wahl – trotz Absprache zwischen den drei größten Fraktionen – nur mithilfe einiger Stimmen vom rechten Rand. Diesmal gibt es eine Absprache der beiden größten Fraktionen mit der fünftgrößten. Für von der Leyen wird es dadurch sicher nicht einfacher.

Der Autor ist Experte für Europarecht und internationale Beziehungen.

Dieser Artikel ist im Original unter dem Titel "Wahlen und ihre Folgen" am 11. Juli 2024 erschienen.

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