Giorgia Meloni - © Foto: APA / AFP / Alberto Pizzoli

Pro-europäische Parteien müssen Meloni, Orbán und Co. zügeln

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Warum der Rechtsruck bei den Wahlen zum Europäischen Parlament bedenklich stimmen muss – und es als Antwort eine streitbare Demokratie braucht. Ein Gastkommentar.

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Warum der Rechtsruck bei den Wahlen zum Europäischen Parlament bedenklich stimmen muss – und es als Antwort eine streitbare Demokratie braucht. Ein Gastkommentar.

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Nach der letzten Europa-Wahl im Jahr 2019, als knapp 200 EU-skeptische bis -feindliche Abgeordnete in das damals 751 Sitze umfassende EU-Parlament gewählt wurden, habe ich in der FURCHE als vordergründige Ursache die Angst vieler Menschen um ihre nationale Identität durch zu viel Migration identifiziert. Dahinter stünde aber eine tiefe Verunsicherung, die eher mit der Globalisierung und dem Gefühl der Menschen zu tun hätte, ihre demokratische Selbstbestimmung auf nationaler Ebene zu verlieren und durch intransparente Mächte wie die EU, die USA oder globale Finanzmärkte fremdbestimmt zu werden. Um einen weiteren Rechtsruck und Zerfall der EU zu verhindern, regte ich an, dass alle pro-europäischen und pro-demokratischen Parteien Europas über nationale Grenzen hinweg zusammenarbeiten sollten, um die EU zu reformieren, weniger neoliberal und bürokratisch und stattdessen sozialer und ökologischer zu gestalten.

Grüne stürzen im EU-Parlament ab

In den vergangenen fünf Jahren ist die EU sicher nicht weniger neoliberal und bürokratisch geworden, wohl aber gab es gewisse Fortschritte in Richtung einer Sozialunion und im Bereich der Ökologie. Der Green Deal ist ein wichtiger Schritt bei der Bekämpfung des Klimawandels, auch wenn er von konservativen Parteien wie der ÖVP (Stichwort: „Verbrenner-Gipfel“ oder „Renaturierungsverordnung“) zunehmend aufgeweicht wird. Da die dreifache Krise des Planeten (Klimawandel, Verlust der Biodiversität und weiter zunehmende Verschmutzung der Erde, Ozeane und der Luft) die größte Bedrohung für unser Überleben auf diesem Planeten darstellt, ist der Absturz der Grünen im EP von 72 auf 53 Mandate ein alarmierendes Zeichen für das fehlende Umweltbewusstsein in der europäischen Bevölkerung.

Die beiden rechtspopulistischen bis rechtsextremen Parteienbündnisse haben zwar weniger stark zugelegt als mancherorts befürchtet wurde, aber insgesamt ist der Rechtsruck doch beachtlich. Die Fraktion der „Europäischen Konservativen und Reformisten“ (EKR) unter Führung der italienischen Postfaschisten von Giorgia Meloni und der polnischen Partei für „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) von Jarosław Kaczýnski, der Polen fast in den Abgrund geführt hätte, legten von 68 auf 73 Mandate zu. Die noch radikalere Fraktion „Identität und Demokratie“ (ID) unter Führung von Marine Le Pens Rassemblement National (RN) und Matteo Salvinis Lega, der auch die FPÖ mit ihren sechs Mandaten angehört, sackte zwar von 59 auf 58 Mandate ab, aber nur, weil Le Pen vor kurzem die Alternative für Deutschland (AfD) wegen Verharmlosung der SS durch ihren Spitzenkandidaten, Maximilian Krah, aus diesem Bündnis ausgeschlossen hatte. Trotzdem erhielt die AfD mit 15 Mandaten mehr als die SPD.

Bei den 45 Fraktionslosen finden sich neben den 15 Abgeordneten der AfD auch zehn ungarische Fidesz-Abgeordnete, weil Viktor Orbáns Partei wegen ihres rechtsstaats- und demokratiefeindlichen Kurses schon länger aus der Europäischen Volkspartei ausgeschlossen worden war. Unter den 100 fraktionslosen und sonstigen Abgeordneten sind daher viele Angehörige von Rechtsparteien, die versuchen werden, sich einer der beiden bestehenden Rechtsfraktionen anzuschließen oder eine sogar noch radikalere Fraktion zu gründen. Gemeinsam hätten diese Abgeordneten der radikalen Rechten möglicherweise mehr Sitze im 720 Abgeordnete umfassenden EP als die Europäische Volkspartei (EVP), die ihre Sitze von 178 auf 186 erhöhen konnte und weiterhin stärkste Fraktion bleibt.

Wichtigste Gründe für das Erstarken rechter EU-Parteien

Das hat natürlich viele Ursachen, die weit über die genannten Gründe der Angst vor Migration und dem Verlust nationaler Identität hinausreichen. Obwohl heute kaum mehr bestreitbar ist, dass der Brexit den Briten schwere ökonomische und politische Nachteile zugefügt hat, gibt es noch immer Parteien, die mit einem Austritt aus der EU liebäugeln. Doch die Hauptforderung rechtsextremer Parteien wie des Rassemblement National in Frankreich ist nicht mehr der Austritt aus der EU, sondern eine radikale Schwächung der EU von innen durch Abbau ihrer Kompetenzen und Stärkung der Macht nationaler Regierungen.

Die beiden wichtigsten Gründe für das weitere Erstarken rechter Parteien trotz Brexit dürften die Covid-19 Pandemie und der russische Angriffskrieg auf die Ukraine sein. Obwohl die EU, deren Kompetenzen im Bereich der Gesundheit eher begrenzt sind, diese Pandemie durch Koordinierung erfolgreich gemanagt hat, schafften es manche Rechtsparteien, sich die Ängste vieler Menschen vor Impfungen und zu starker Bevormundung auf ihre Fahnen zu schreiben, Verschwörungstheorien über soziale Medien zu verbreiten und sich als Parteien der Masken- und Impfgegner zu profilieren. Das hat mit rechter Ideologie wenig zu tun, doch konnten die rationalen oder irrationalen Ängste der Menschen geschickt in Hass auf die Verantwortlichen in Politik, Wissenschaft und den Medien (also dem „System“) umgepolt werden.

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