Khalidi Bibliothek - © Foto: Elias Feroz

Konflikt um die Khalidi-Bibliothek: Jerusalems kulturelles Erbe in Gefahr

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Die Khalidi-Bibliothek in Jerusalem, gegründet im Jahr 1900, ist ein wichtiger kultureller Schatz. Doch Siedlergewalt und rechtliche Auseinandersetzungen gefährden zunehmend das historische Erbe.

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Die Khalidi-Bibliothek in Jerusalem, gegründet im Jahr 1900, ist ein wichtiger kultureller Schatz. Doch Siedlergewalt und rechtliche Auseinandersetzungen gefährden zunehmend das historische Erbe.

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Der Tempelberg in Jerusalem – auch als alHaram al-Scharif bekannt – ist für Juden wie auch für Muslime (und Christen) ein bedeutender Ort. Zum einen befindet sich dort die Al-Aksa-Moschee, die drittwichtigste Moschee im Islam; zum anderen war dies auch der Standort der beiden jüdischen Tempel, wobei der zweite Tempel im Jahr 70 n. Chr. von den Römern zerstört wurde. Während der Krieg in Gaza weiterhin andauert, nehmen die Spannungen auch in Jerusalem zu. Israels rechtsextremer Minister für Nationale Sicherheit, Itamar Ben-Gvir, behauptete erst kürzlich, dass er anstelle der AlAksa-Moschee eine Synagoge errichten würde, wenn er könnte – und schüttete damit erneut Öl ins Feuer. Doch dieser Drang nach mehr Einfluss und Kontrolle beschränkt sich nicht nur auf Gebiete, sondern auch auf das historisch-kulturelle Erbe.

Khalidi-Bibliothek: Ein historisches Erbe in Gefahr

Das zeigt sich etwa im Falle der Khalidi-Bibliothek, die nur wenige Gehminuten von der Al-Aksa-Moschee entfernt liegt und im Jahr 1900 von Haj Raghib alKhalidi gegründet wurde. Mittlerweile ist sie ein Teil der religiösen Stiftung (Arabisch: Waqf) der Khalidi-Familie. Die Bibliothek, die auch „Khalidiyya“ genannt wird, enthält die größte private Sammlung arabischer Manuskripte in Jerusalem. Am 27. Juni brachen rund ein Dutzend israelische Siedler – geschützt von schwerbewaffneten israelischen Polizisten – gewaltsam in ein jahrhundertealtes Haus ein, das zum Komplex der Khalidi-Bibliothek in der Bab al-Silsila-Straße in der Altstadt von Jerusalem gehört. Der aktuelle Verwalter der Khalidi-Bibliothek, Raja Khalidi, ein Enkel des Bibliothekgründers, sagt im Gespräch mit der FURCHE, dass die Siedlergewalt seit dem 7. Oktober auch in der Altstadt drastisch zugenommen habe. Die Siedler werden zudem meistens, wie auch in diesem Fall, von israelischen Sicherheitskräften geschützt. An jenem Tag, an dem das Haus des Khalidi-Komplexes gestürmt wurde, wären zwei Mitglieder der Familie Khalidi beinahe verhaftet worden, weil sie sich gegen die Besetzung des Gebäudes von Seiten der Siedler weigerten, so Raja.

Der rechtliche Streit der palästinensischen Familie mit israelischen Bewohnern begann jedoch nicht erst vor Kurzem, sondern liegt Jahre zurück: Er eskalierte mit der israelischen Besetzung Ostjerusalems im Zuge des Sechstagekriegs im Jahr 1967. Seitdem sind dort arabisch-palästinensische Institutionen und Häuser stark von Enteignung und Beschlagnahmungen bedroht. Im Jahr 1968, nur wenige Monate, nachdem es der israelischen Armee gelang, Ostjerusalem zu besetzen, konfiszierte sie ein Gebäude östlich des Bibliothekhofs, welches ebenfalls Teil des Khalidi-Komplexes ist. Später wurde das beschlagnahmte Grundstück in eine Jeschiwa (eine Schule, die sich dem Talmudstudium widmet) umgewandelt, unschwer zu erkennen durch eine israelische Flagge, die dort hängt und unmissverständlich den Anspruch kennzeichnet. Unter diesen historischen Entwicklungen und den jüngsten Geschehnissen der Gegenwart scheint ein normales Nachbarschaftsverhältnis zwischen Palästinensern und Israelis in der Altstadt unmöglich, wie Khalidi erläutert: „Man versucht, sich die meiste Zeit aus dem Weg zu gehen, aber es ist natürlich schwierig. Unser Raum wird mehr und mehr eingegrenzt, während die Israelis ihren Raum ständig erweitern.“

Dies führte auch zu Schwierigkeiten und langwierigen Gerichtsverfahren, als vor wenigen Jahren Restaurierungsarbeiten am Bibliotheksgebäude geplant waren. Allerdings entschied das israelische Gericht letztendlich zugunsten der Familie Khalidi, weshalb die Bau- und Restaurierungsarbeiten genehmigt wurden. Ein wichtiger Schritt zur Erhaltung des palästinensischhistorischen Erbes.

Auch im aktuellen Rechtsstreitverfahren zeigt sich Raja Khalidi optimistisch. Gebäude, die einem Waqf (also einer religiösen islamischen Stiftung) angehören, könne man nicht einfach konfiszieren, da die „Scharia-Gerichte“ für Waqf-Angelegenheiten zuständig sind. Die Scharia-Gerichte stammten bereits aus der Zeit des Osmanischen Reichs, wobei auch der Staat Israel diese anerkennt. Die Befugnisse dieser Gerichte beschränken sich hierbei allerdings ausschließlich auf familiäre und persönliche Angelegenheiten von Muslimen, wobei die Richter (Arabisch: Qadi) von der Knesset, also vom israelischen Parlament, ernannt werden. „Die Siedler können Waqf-Eigentum nicht einfach übernehmen. Deshalb behaupteten sie, dass es sich bei dem Gebäude um Privateigentum handele, welches sie legal erworben hätten, und fälschten sogar Dokumente, um den vermeintlichen Erwerb des Grundstücks zu belegen“, erklärt Raja im Interview.

Gefälschte Dokumente

Einen Tag nach der Besetzung des Grundstücks reichte die Familie einen dringenden Antrag an das israelische Amtsgericht ein, der die Siedler verpflichten würde, das Waqf-Eigentum zu verlassen. Das Gericht erließ daraufhin eine vorläufige Anordnung, die Siedler sofort zu räumen, wobei der Familie Khalidi erlaubt wurde, das Schloss auszutauschen. Am 30. Juni fand die Gerichtsverhandlung statt, wobei das Amtsgericht erneut zugunsten der Khalidi-Familie urteilte. Die von der Familie vorgelegten Dokumente konnten eindeutig belegen, dass das Eigentum zum Waqf von Shaykh Muhammad Ali al-Khalidi gehört (einem Vorfahren Raja Khalidis, der 1865 starb). Daraufhin bestätigte das Gericht den Antrag auf Räumungsanordnung erneut und erlaubte den rechtmäßigen Verwaltern des Gebäudekomplexes, das Grundstück zu betreten und es nach Belieben zu nutzen. Nun möchte die Familie die Siedler auf Schadenersatz und Urkundenfälschung verklagen.

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