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Weltspartag: Kaum Grund zum Jubeln

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Der Grund, den Experten neben stagnierenden Realeinkommen und der Zinsertragssteuer (ZEST) für die Sparunlust der Österreicher angeben, klingt zunächst paradox: „Keine Kredite, keine Einlagen", resümiert Heinz Handler, Finanzexperte des Wirtschaftsforschungsinstituts (WIFO) kurz und bündig und fügt auch gleich die Erklärung hinzu:

„Wenn ein Unternehmen einen Kredit aufnimmt, wird dieser auf irgendein Konto überwiesen und dann nach und nach verbraucht, das heißt auf andere Konten als Einlage überwiesen. Dies führt zu einem Wachstum der Geldkapitalbildung insgesamt."

Gerade dieses ist jedoch derzeit schwach. Die Kreditnachfrage „lebt" vom Staat und etwas von den Privaten. Industrie und Gewerbe halten sich zurück.

Auch dazu macht sich Handler seine eigenen Gedanken: „Die stagnierende Wirtschaftsentwicklung und die schwachen Lohnrunden der letzten Jahre haben dazu geführt, daß die Betriebe ziemlich liquide sind. Bei ansteigender Konjunktur erfolgt nun eine Umschichtung von der Gewinn- zur Lohnquote. Der Höhepunkt dieser Entwicklung ist jetzt bald erreicht. Anfang 1985 ist daher mit einem Steigen der Kreditnachfrage zu rechnen."

An eine langfristige echte Sparflaute glauben weder Handler noch der Leiter der Volkswirtschaftlichen Abteilung der Nationalbank Georg Albrecht. Mit dem Statistik-Experten der Bundeskammer Christian Festa sind sie sich jedoch einig, daß sich die früheren Zuwachsraten auf einem deutlich niedrigeren Niveau einpendeln werden. Festa: „Früher sind es nominell zwölf bis fünfzehn Prozent jährliches Wachstum gewesen, heuer nur vier. Das Vertrauen in die Konjunktur und die Sicherheit der Arbeitsplätze ist größer geworden. Der Konsum hat sich belebt. Wäre die Sparquote hoch, würde sie den Konsum zusammenhauen."

„Die Leute halten trotz sinkender oder stagnierender Realeinkommen den Lebensstandard hoch. Sie sind optimistischer, was die Konjunktur betrifft, aber deswegen sparen sie nicht, sie konsumieren. Allerdings kommt der größere Konjunkturoptimismus zunächst den Importen zugute", meint Albrecht.

Aber Sparen ist überhaupt seit den Zeiten des sparefrohen Weltspartags zu einem komplexen und schwer erfaßbaren Phänomen geworden. Selbst das bisher so selbstverständliche Steigen der Sparquote in schlechten Zeiten wird heute angezweifelt. Albrecht: „Die Leute haben einen gewissen Grundoptimismus. Kri-sensparen in drastischer Form gibt es nicht."

Auch die Mär von den Eckzinssparern, den alten Mutterin, die zu einem eher schlechten Zinssatz Geld für die Enkel anhäufen, hält den Tatsachen längst nicht mehr stand. 1983 gab es zwar 165 Milliarden Schilling Eckzinseinlagen, aber 556 Milliarden Schilling gebundene Spareinlagen.

Die Sparer sind eben zins- und selbstbewußter geworden. Sparen als Bürgertugend ist nicht mehr selbstverständlich. Das Sparbuch ist entmythologisiert.

die Bank wird als Serviceinstitution wie jede andere empfunden.

Der Konsum ist der große Gegenspieler des Spargedankens und oft genug Sieger im Tauziehen um die menschlichen Wünsche. Eher ratlos reagiert zunächst der Theologe, den man auf das Dilemma zwischen dem amoralischen Sparen, dem Geiz, und dem ebenso amoralischen Konsum, der Verschwendungssucht, hinweist. „Sparen ist positiv, aber kein Wert an sich", findet Pater Alois Kraxner, Geistlicher Assistent der Katholischen Aktion Österreichs, und dürfte in dieser Hinsicht mit den heutigen Sparern durchaus einer Meinung sein.

Denn gerade dieser aufgeklärte Sparwillige hat die Chance, in der breiten Palette des Angebots heute einen neuen, ganz persönlichen Zugang zur alten Bürgertugend des Sparens zu finden; den goldenen Mittelweg zwischen der bieder-fleißigen Biene und dem Sparefroh der sechziger Jahre und dem Kredit- und Förderungskult der siebziger Jahre.

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