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Mehr als nur Arbeitskraft

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Bertram Jäger plädiert für Gesetze, die erlauben, dass ausländische Arbeitnehmer unter menschenwürdigen Bedingungen leben und arbeiten können. 

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Bertram Jäger plädiert für Gesetze, die erlauben, dass ausländische Arbeitnehmer unter menschenwürdigen Bedingungen leben und arbeiten können. 

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Das österreichische Ausländer-Beschäftigungsgesetz ist noch nicht sehr alt. Es stammt aus dem Jähre 1976. Trotzdem entspricht es nicht mehr den heutigen Erfordernissen. Der Grund dafür liegt vor allem darin, daß sich sowohl die wirtschaftlichen Verhältnisse als auch die Situation der Gastarbeiter geändert haben.

Im Jahre 1976 und insbesondere in den Jahren davor hatten wir Hochkonjunktur. Es war kein Problem, Arbeit zu finden, weder für Inländer noch für Ausländer. Nun haben wir Arbeitslose. Von der Arbeitslosigkeit sind In- und Ausländer gleichermaßen betroffen.

Die Ausländer brauchen, um in einem Betrieb eine Arbeit aufnehmen zu können, eine Beschäftigungsbewilligung. Diese kann nur gewährt werden, wenn die Arbeitsmarktsituation es gestattet, d. h., wenn vor allem alle Inländer untergebracht sind. Werden Kündigungen notwendig, müssen zuerst die Ausländer gekündigt werden; und wenn eine Beschäftigungslücke Kurzarbeit erforderlich macht, muß geprüft werden, ob nicht durch die Kündigung von Ausländern die Kurzarbeit vermieden werden könnte.

Es ist einleuchtend, daß ein Staat zunächst dafür sorgt, daß die eigenen Staatsbürger Arbeit haben. Aber wir dürfen nicht übersehen, daß sehr viele Ausländer längst keine Gastarbeiter mehr sind, sondern zu Stammarbeitern in den Betrieben geworden sind, ganz einfach deshalb, weil sie schon zehn bis 15 Jahre, manchmal sogar noch länger, hier sind. Und wir dürfen auch nicht vergessen, daß zwischenzeitig ihre Kinder, die zum Teil hier geboren sind oder doch seit frühester Jugend hier leben, ebenfalls ins arbeitsfähige Alter kommen.

Weder der Tatsache, daß die Ausländer schon sehr viele Jahre hier sind und noch viele Jahre, eventuell für immer, hierbleiben wollen, noch dem Umstand, daß die zweite Generation bereits Arbeit und Beschäftigung sucht, trägt das Ausländer-Beschäftigungsgesetz Rechnung.

Die Beschäftigungsbewilligung gilt jeweils für ein Jahr. Das bedeutet aber, daß diese Menschen neben den vielen Unsicherheiten und Unwägbarkeiten, denen Ausländer in einem fremden Land ausgesetzt sind, Jahr für Jahr bangen müssen, ob sie wieder eine Beschäftigungsbewilligung erhalten.

In Zeiten der wirtschaftlichen Flaute ist diese Sorge besonders groß. Insbesondere dann, wenn sie ihren Arbeitsplatz verlieren, ist es gar nicht so sicher, daß sie eine Beschäftigungsbewilligung für einen anderen Arbeitsplatz erhalten, selbst wenn es ihnen gelingt, einen solchen zu finden.

Freilich besteht die Möglichkeit, daß sie, sofern sie acht Jahre ununterbrochen in Österreich wohnhaft und beschäftigt waren, einen Befreiungsschein beantragen können. Dieser ermöglicht es ihnen, ohne Beschäftigungsbewilligung eine Arbeit aufzunehmen. Seine Gültigkeitsdauer beträgt zwei Jahre.

Es gibt jedoch nicht wenige Ausländer, die mehr als zehn oder auch 15 Jahre hier sind, aber Unterbrechungen — teils freiwillig, teils gezwungenermaßen — in ihrer Beschäftigungsdauer haben. Solche Unterbrechungen machen, wenn sie länger als einen Monat gedauert haben, Zeiten einer da-vorliegenden Beschäftigung ungültig, und die Achtjahresfrist beginnt neu zu laufen. Dies führt dazu, daß viele ausländische Arbeitnehmer, die weit mehr als acht Jahre hier sind, den Befreiungsschein nicht erhalten.

Im Oktober 1983 hat die zweite Konferenz der für Wanderungsfragen verantwortlichen europäischen Minister in Rom stattgefunden. Zu den Vorschlägen, die dort gemacht wurden, hat auch der österreichische Arbeiterkammertag Stellung genommen und angeregt, den grundsätzlichen Zielsetzungen und den der Verwirklichung dienenden Maßnahmen zuzustimmen. Allerdings mußte der Arbeiterkammertag darauf hinweisen, daß, um die Maßnahmen zu verwirklichen, eine Novellierung des Ausländer-Beschäftigungsgesetzes notwendig wäre.

Auch in der Untersuchung über „Probleme ausländischer Arbeitnehmer am Beispiel Wien", die von einer Expertengruppe der Wiener Arbeiterkammer durchgeführt worden ist, sind Vorschläge enthalten, die Gesetzesänderungen erfordern.

Solche Vorschläge sind etwa: Gewährung eines Befreiungsscheines bereits nach zwei Jahren (bisher acht Jahre); nach vier Jahren Gleichstellung mit Inländern (also Beschäftigung ohne Befreiungsschein und ohne Arbeitsgenehmigung); jugendliche Arbeiter (zweite Generation) sollen den Inländern am Arbeitsmarkt gleichgestellt werden; Anspruch auf Notstands-, Sozial-und Wohnbeihilfen.

Kurzum: Ein neues Gesetz ist erforderlich, weil das alte nicht berücksichtigt, daß viele ausländische Arbeitnehmer keine Gastarbeiter, sondern Einwanderer sind. Es ist an der Zeit, die gesetzlichen Vorschriften so zu gestalten, daß diese Menschen unter menschenwürdigen Bedingungen leben und arbeiten können und nicht zu Konjunkturpuffern degradiert werden.

Der Autor ist Präsident der Vorarlberger Arbeiterkammer. Der Beitrag ist ein politischer Denkanstoß zum Ausländersonntag am 30. September.

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