7055231-1991_15_12.jpg
Digital In Arbeit

Kult der Fruchtbarkeit

Werbung
Werbung
Werbung

Die Tage ab dem Dreikönigsfest und besonders die Höhepunkte vor dem Aschermittwoch tragen in Österreich und Bayern zwei verschiedene, doch gleichbedeutende Bezeichnungen. Während sie der Osten und Süden Österreichs bis ins östliche Ost- und Nordtirol und das östliche Nieder- und Oberbayern Fasching nennt, sagt man im größeren Teil Tirols, im westlichen Ober- und Niederbayern und in der Oberpfalz und ferner in Vorarlberg, der Schweiz und in ganz Süddeutschland Fasnacht in jeweils recht unterschiedlichen Dialektaussprachen.

Gerade in Österreich und Bayern aber waren in früheren Jahrhunderten die räumlichen Verbreitungen andere. Beide Wörter treten in Urkunden, Urbaren und Rechnungsbüchern ab dem letzten Drittel des 13. Jahrhunderts auf, so Fasching erstmals 1272 in Salzburg und Fasnacht 1288 in Bozen. Überhaupt zum ersten Mal hören wir von der Fasnacht am Anfang des 13. Jahrhunderts im „Parzival" Wolframs von Eschenbach. Verschiedene Indizien lassen erkennen, daß Fasching ursprünglich in ganz Österreich und Altbayern heimisch war, ehe das Wort im westlichen Oberbayern um die Mitte und in Tirol in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts dem westlichen Fasnacht wich. Ja jenes eroberte sich im 14. Jahrhundert auch das östliche Ober- und Niederbayern und drang bis Salzburg und Oberösterreich vor, konnte aber weder in Kärnten noch in Niederösterreich richtig Fuß fassen.

Nach mittelalterlichen Aufzeichnungen bürgerte sich in Süddeutschland zunächst in Klöstern und dann auch bei den Stadtherren der Brauch ein, vor dem Beginn der Fastenzeit üppige Festmähler abzuhalten und Untergebene mit Naturalien zu beschenken. Da man diese neuen westlichen Bräuche

auch bei uns aufgriff, übernahm man zugleich mit ihnen die westliche Bezeichnung Fasnacht und gab Fasching entweder auf, oder das Wort blieb gegenüber Fasnacht der Geistlichkeit und höheren Stadtbürgern die Bezeichnung für das übliche, hergebrachte Treiben der Bauern und einfachen Städter.

In Oberösterreich vermengten sich Ende des 14. Jahrhunderts sogar beide Wörter zu Faschnacht. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts zwang dann der sittenstrenge Kaiser Leopold I. seine Wiener, den Mummenschanz des Faschings von der Straße in die Häuser zu verlegen, was zur Geburtsstunde der

Bälle wurde. An solchen Gemeinschaftsbelustigungen mit Verkleidung und Tanz fanden nicht nur die Bürger Gefallen, sondern bald tanzte alles vom kleinen Mann bis zum Kaiserhaus fröhlich durch den Fasching. Rasch fand das neue, von Wien ausgehende Vergnügen willkommene Aufnahme und mit ihm sein Name Fasching, so daß die Bezeichnung Fasnacht in Oberösterreich, Salzburg, Ober- und Niederbayern wieder abkam.

Woher aber stammen diese Wörter und was bedeuten sie ursprünglich? Um diese Fragen nach der Etymologie zu klären, muß der Sprachwissenschaftler mit Hilfe der vergleichenden historischen Grammatik die dialektalen Formen und die ältesten historischen Belege prüfen und nach laut- und bedeutungsverwandten Wörtern suchen, um deren gemeinsame Wurzel als Ausgangsbasis der verschiedenen Ableitungen festzustellen. Fasnacht ist danach keineswegs die Nacht vor dem Beginn des Fastens, wie uns das im 18. Jahrhundert festgelegte schriftsprachliche Fastnacht und eine Reihe von Wörterbüchern

glauben machen wollen. Vielmehr lauten die ältesten Osttiroler und oberbayerischen Dialektformen Fosenocht und entsprechen mittelalterlich-urkundlichem vasenacht. Dieses aber stellt sich zu mittelhochdeutsch vesel, visel ,Penis', va-sen ,sich fortpflanzen', vasel .Zuchttier, "Nachkommenschaft', vaselen .gedeihen'. Da aber das Christentum keinen Platz für heidnische Fruchtbarkeitskulte hat und diese, wo sie noch fortlebten, schon von

der frühmittelalterlichen Kirche bekämpft wurden, muß das Wort Fasnacht nicht nur wesentlich älter sein als seine erste schriftliche Bezeugung, sondern bereits als Ableitung von der germanischen Wurzel fes-/fas- .fruchtbar' auch in germanische Zeit zurückreichen. Darauf verweist auch die Zeitbestimmung Nacht, denn die Germanen teilten die Zeit nach dem Mondlauf ein.

Viele Grundelemente des Brauch-tums wie Vermummung in Tierfelle, Schellen, Schlangen, Springen und Wassersprengen weisen, obwohl im Lauf der Jahrhunderte ständig umgeformt, ebenfalls in die heidnische Frühzeit zurück, so daß die Fasnacht eine Zeit der kultischen Beschwörung neuer Fruchtbarkeit an der Zeitenwende vom Winter zum Frühling war. Hier schließt sich auch Fasching an, das mittelalterlich vaschang und in den Tiroler Sprachinseln noch Foschong lautet und auf ein älteres vas(a)gang zurückgeht. Bezeichnet Fasnacht den Termin dieser Bräuche, so Fasching mit seinem Gang die heidnischen fruchtbarkeitsbeschwörenden Umzüge, wie sie die Kirche schon im 6. Jahrhundert in die in die Felder führenden Bittprozessionen am Markustag und vor Christihimmelfahrt umfunktionierte.

Mit dem Ausschank eines Fasten -trunkes als .Fastschank' oder mit einem Faßbrauchtum der Binder als ,Faßschank' hat das Wort trotz solcher Angaben in Wörterbüchern ursprünglich nichts zu tun. So und noch in anderer Weise versuchten allerdings schon vereinzelte mittelalterliche Schreiber das isolierte, unverstandene Wort gelegentlich neu zu deuten.

Fasnacht und Fasching erweisen sich also aufgrund neuer sprachwissenschaftlicher Erkenntnisse als uralte, kultische germanische Wörter und haben als solche ein im Laufe der Jahrhunderte sich stets wandelndes Brauchtum bezeichnet.

Der Autor ist Professor am Institut für Germanistik der Universität Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung