Fans von Taylor Swift in Wien - © Foto: APA / Tanja Ungerböck

Eine Vorsehung

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Taylor Swift hatte abgesagt, war aber durch ihre Lieder bei uns. Lydia Mischkulnig über eine Masse auf Wallfahrt.

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Taylor Swift hatte abgesagt, war aber durch ihre Lieder bei uns. Lydia Mischkulnig über eine Masse auf Wallfahrt.

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Meine Oma hatte zwei Reisen getan. Sie brachte die Plastikmaria mit dem blauen Krönchen aus Lourdes mit. Das Weihwasser muss über 50 Jahre alt sein, steht bei mir im Bücherregal. Der Rosenkranz liegt daneben, eine Art Freundschaftsband aus Rom. Mit Oma war ich nie je ins Gespräch gekommen, doch ihre Souvenirs sind Symbol, Anerkennung meiner Person, egal, auf welchen Wegen ich wandelte.

So ging ich durch die Stadt, als ein Mädchenchor anhob und Gesänge anschwollen. In der Nähe der rosa geblümten Aida wölkte das Halleluja des Pops. Wohlbeleibte junge weiße Frauen prangten mit Freundschaftsperlenketten um das Handgelenk, als hätten sie die Perlen von Omas Rosenkranz neu aufgefädelt. Eine Masse auf Wallfahrt, dachte ich. Scheinheiligenstadt. Die Mädchen waren friedlich. Ich hätte eine Waage empfohlen, um Erkenntnisse ernährungswissenschaftlicher Standards mitzuteilen. Hochgehaltene Handys wurden hin und her geschwenkt, die Gemeinschaft zwischen Fassaden zur Erscheinung gebracht. Ich drängte mich bis zur Mitte vor. Und siehe da, die Mitte war leer. Ein Platz fürs Nichts.

Taylor Swift hatte abgesagt, war aber durch ihre Lieder bei uns.

Ein erhebendes Gefühl, als aus Mädchenkehlen die seltsamen Sätze über ein Vergessen, dass jemand existierte, drangen, dass dieses Vergessen einen früher gekillt hätte, aber es nun friedlich und still sei. Der sphärische Klang tröstete über die Erinnerung an den Wiener Anschlag vom 2. November 2020 hinweg, entlarvte die Protestrufe nach einem free Palestine from the River to the Sea junger freier Leute als gefährlichen Unsinn. Die Intifada galt nämlich dem Star der Mädchen und Buben, die dem rosa Traum von romantischer Liebe und selbstbestimmter Frau folgten. Der verhinderte Terroranschlag öffnete Augen. Die neue Maria erschien als milliardenschwere Dompteuse im schillernden Badeanzug und flehte für das Frauenrecht auf Abtreibung.

Nachträgliche Anmerkung der Autorin zu diesem am 14.8. in Print erschienenen Kommentar:
Ich distanziere mich von Misogynie und Bodyshamings aller Art. Es tut mir leid, dass der zurecht beanstandete Satz bzgl. Ernährungstipps, den ich eigentlich als kritische Selbstreflexion eigener Position und Sehweisen formulieren und einbringen wollte, sprachlich in einer Art erschienen ist, dass er genau diese kritische Sichtweise nicht deutlich macht. Ich würde die Kolumne heute jedenfalls ohne diesen Satz veröffentlichen.

Anmerkung der Redaktion:
Durch ein Missverständnis ist am 14.8. in der FURCHE eine Version des Textes erschienen, in der eine letzte Änderung der Autorin nicht mehr Eingang in die Druckfassung gefunden hat. Wir bedauern. Die Letztfassung von Lydia Mischkulnig findet sich auf ihrer Facebook-Seite.

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