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Beim Zahlen — keine Gleichheit

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Nach deutschem Muster wurde im Frühjcfhr auch in Österreich eine Krankenanstaltenreform verabschiedet. Ihre markanteste Neuerung war die Abschaffung der 3. Klasse. Dies bedeutet allerdings nicht, daß nun alle Patienten in kleinen Zweite- Klasse-Zimmern untergebracht würden — wie Naive glaubten und wie ihnen auch von der Regierungspropaganda suggeriert wurde —, sondern daß die 1. Klasse verschwindet. Von nun an gibt es nur mehr eine allgemeine Gebührenklasse und eine Sonderklasse, welche die bisherige 1. und 2. Klasse vereinigt, was in der Praxis in den meisten Fällen auf die Abschaffung der Einzelzimmer hinauslaufen dürfte.

Eine totale Angleichung beider Klassen — ob nach oben oder nach unten, wird sich noch zeigen — bringt das neue Bundeskrankenanstaltengesetz hinsichtlich Verpflegung, Betreuung, ärztliche Behandlung, Versorgung mit Medikamenten und sonstigen Nebenleistungen, denn es schreibt zwingend vor, daß in dieser Beziehung zwischen den Klassen kein Unterschied mehr bestehen dürfe. Die Durchführungsgesetze der Länder hielten sich strikt an das vorgeschriebene Gleichheitsprinzip — mit Ausnahme eines einzigen Punktes: der Bezahlung.

Die Gebührenordnung wurde nämlich — ausgenommen Niederösterreich und die Steiermark — nicht den veränderten Voraussetzungen angepaßt. Während nämlich für die Gebührenklasse die Pflegesätze sämtliche Arzt- und Nebenleistungen inkludieren, wird den Patienten der Sonderklasse nicht nur ein erhöhter Pauschalpflegesatz in Rechnung gestellt, sondern es werden ihnen — genauso wie früher, als sie noch eine Sonderbehandlung erfuhren — Arzt- und Nebenleistungen separat verrechnet, was unter den nunmehr gegebenen Umständen eine Doppelverrechnung bedeutet.

Die so entstandene juridische Situation ist absurd: Wenn ein Gastwirt versuchte, seinen Pensionsgästen die im Pauschalarrangement enthaltenen Leistungen nochmals auf die Rechnung zu setzen, so würde man dies schlicht und einfach als Betrug bezeichnen.

Am stärksten benachteiligt sind jene Patienten, welche sozialversi- chert sind, darüber hinaus aber — speziell um die Verpflegungskostensätze in der Sonderklasse gedeckt zu haben — eine Zusatzkrankenversicherung abgeschlossen haben. Wenn sie glauben, zumindest bei den Verpflegungskostensätzen nur die Differenz zwischen den Pauschaltarifen der Gebühren- und der Sonderklasse zahlen zu müssen, sind sie gewaltig im Irrtum: Die Sozialversicherung bekommt in’ den Spitälern einen Rabattsatz, der beispielsweise in Wien mehr als 50 Prozent ausmacht. Der Zusatzversicherte muß nun den vollen Preis für die Sonderklasse mit seiner Privatversicherung bestreiten und bekommt als Zuschuß der Sozialversicherung weniger als den halben Satz der Gebührenklasse, bezahlt also praktisch den Spitalsaufenthalt zur Gänze aus seiner Zusatzversicherung — weshalb deren Prämien dementsprechend hoch sind.

Die österreichische Gebührenordnung basiert ‘auf dem Prinzip, daß die Reichen für die Armen zahlen sollen. Wenn man aber in Rechnung stellt, daß 2,3 Millionen Personen — zuzüglich ihrer Famüien — in Österreich privat krankenversichert sind, davon über zwei Millionen zusatzversichert — dann ist evident, daß es sich hier nicht um Reiche, sondern um Durchschnittsverdiener handelt, die dafür bestraft werden, daß sie zum Zweck der Selbstvorsorge Konsumverzicht leisten.

In früheren Zeiten war diese falsche Verrechnung nicht so gravierend gewesen. Im letzten Dezennium sind aber die Spitalsgebühren — und noch mehr die Nebenkosten — rasant ge stiegen, viel schneller als die Inflation oder die Einkommen. Betrug der Verpflegskostensatz für die dritte Klasse in Wien 1964 «•st 1.22 Schilling, so macht ėr 1974 schon’ 648 Schilling aus, ist also auf das 5,31facha gestiegen. Für die 2. Klasse machte er damals 240 Schilling aus, wobei die Nebenkosten ein relativ bescheidener Betrag waren. 1974 kostete die gleiche 2. Klasse schon 972 Schilling. Diese Summe erhöht sich aber angesichts der enorm gestiegenen Nebenkosten auf 1800 Schilling pro Tag.

Die Folgen dieser Entwicklung sind ausgesprochen unsozial: Da die Prämien der Zusatzversicherung diesen Kostensteigerungen Rechnung tragen mußten, droht nun der Kreis jener, die sich eine Zusatzrversiche- rung leisten können, allmählich wieder zu schrumpfen. Die Klassenbarriere zwischen den „Zahlklassen" und der Gebührenklasse, die dank der Zusatzversicherungen abgebaut werden konnte, wird nun allmählich wieder erhöht.

Da die dem Geist und dem Buchstaben des neuen Krankenanstaltengesetzes widersprechende Doppelbe- zahlung zweifellos auch nicht verfassungskonform ist, wäre es wünschenswert, daß dieser Fehler in den Landesgesetzen so schnell als möglich durch Novellen repariert wird, andernfalls die Versicherten gezwungen sein würden, den Weg zum Verfassungsgerichtshof zu suchen.

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