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Selbstbeschränkung durch Selbstbehalt

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Äußerungen gegen die Selbstbeteiligung wie „sozial unzumutbar” oder „wäre nur eine neue Belastung für die Bevölkerung und keine Sanierung der Krankenkassen” lassen Zweifel aufkommen, ob man sich dabei der Tragweite dieser Aussagen in gesundheits- und gesellschaftspolitischer Hinsicht bewußt ist.

Hiezu mein Standpunkt: Etwa 25 Prozent der Krankenversicherten (Versicherungsanstalt öffentlich Bediensteter, Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft, Sozialversicherungsanstalt der Bauern) kennen seit jeher einen 20prozentigen Selbstbehalt. Wo bleibt die politische und die sachliche Logik? Warum sollte ein Selbstbehalt etwa Facharbeitern oder leitenden Angestellten, die bei der Gebietskrankenkasse versichert sind nicht zugemutet werden können, wenn man einen solchen Selbstbehalt beim kleinen Bauern, beim kleinen Gewerbetreibenden und beim kleinen Bundesbahnbedieiisteten ohne weiteres akzeptiert?

Die finanzielle Situation der Krankenversicherungsträger insgesamt, aber auch der Spitalserhalter, müßte bekannt sein. Steigenden Ansprüchen gegenüber allen Gesundheitseinrichtungen, genährt durch Gesetzgeber und medizinische Aufklärung via Massenmedien usw., dynamischer Fortentwicklung der Medizin, insbesondere im technisch-apparativen Bereich mit steigenden Investitions- und Personalkosten, Eingriffen des Gesetzgebers mit entsprechenden finanziellen Auswirkungen im Kranken- haus-„Betrieb” (Arbeitszeitverkürzung, Gehaltsgesetznovellen), stehen nicht im gleichen Ausmaß Einnahmen zur Verfügung und verursachen Gebarungsabgänge.

Die geforderte Rationalisierung und Ökonomisierung wird, abgesehen von ihrem Alibieffekt für die Öffentlichkeit, keine wesentlichen Änderungen bringen.

Dieser Politik fehlen echte Alternativen. Ein unterfinanzierter Sektor,

wie es der Gesamtbereich des Gesundheitswesens im Vergleich zu anderen Industriestaaten zweifellos ist, kann nur saniert werden durch:

• Leistungskürzungen, d. h. Begrenzung dessen, ab wann eine Versicherung versicherungspflichtig ist und wo diese Versicherungspflicht aufzuhören hat;

• Bremsung unnotwendiger Inanspruchnahme medizinischer und ärztlicher Einrichtungen;

• Erhöhung der Einnahmen durch Anhebung der Krankenversicherungsbeiträge, Änderung des Finanzierungssystems (prozentuelle oder pauschale Kostenbeteiligung oder aber zusätzliche Behandlungskostenbeiträge) oder zunehmende Heranziehung von Steuermitteln zur Finanzierung des Gesundheitswesens.

Andere Möglichkeiten gibt es nicht. Von den gegebenen - hier deckt sich meine Meinung mit dem überwiegenden Anteil der Ärzte (siehe Meinungsbefragung durch das Fessel-Institut im Auftrag der österreichischen Ärztekammer) - wäre eine Kostenbeteiligung in prozentueller Form, z. B. zehn Prozent, eine Maßnahme der Kostenorientierung für den Patienten, aus der sich ein Kostenbewußtsein entwickeln könnte, das darüber hinaus in der Lage wäre, eine Uberbeanspruchung und Überforderung unseres Versorgungssystems zu verhindern.

Schon Sigmund Freud hat die Bezahlung als wesentliche Maßnahme der Aktivierung des Gesundheitsprozesses gefordert. Eine Kostenbeteiligung entspräche auch ideologisch unseren Forderungen nach Verantwortlichkeit des Patienten, nicht nur seiner Gesundheit gegenüber, sondern auch bei der Inanspruchnahme von Einrichtungen, die auf dem Solidaritätsprinzip aufgebaut sind.

Die soziale Verpflichtung gegenüber dem wirtschaftlich Schwachen könnte verwirklicht werden:

• durch Herausnahme der Ausgleichszulagenrentner,

• durch Herausnahme weniger chronischer Erkrankungen wie z. B. Diabetes,

• durch Höchstbegrenzung der

Selbstbeteiligung im Sinne eines Glo balbetrages, z. B. 500 Schilling pro Quartal.

Ein ähnliches Prinzip gibt es bei der Sozialversicherungsanstalt der Bauern im stationären Aufenthalt: Der versicherte Landwirt muß 20 Prozent des Krankenhausaufenthaltes (!) bezahlen, wenn dieser stationäre Aufenthalt weniger als 28 Tage beträgt. Erst darüber hinaus übernimmt die Bauemkrankenkasse die gesamten Krankenhauskosten.

Jede andere Alternative mündet, ob man es wahrhaben will oder nicht, in die Erhöhung der Versicherungsbeiträge oder aber in die Heranziehung von Steuermitteln. Letzterer Weg - er wird bereits für die Finanzierung des Krankenhauses propagiert, wobei es gleichgültig erscheint ob durch Bundes- oder Landesmittel - mündet zwangsläufig in die Sozialisierung des Gesundheitswesens, zunächst im Teilbereich „Krankenhaus”.

Die Bildung eines „Bundesfonds” ist der erste bedenkliche Schritt in diese Richtung. Wenn ein solcher Fonds erst einmal geschaffen ist, bietet er die Möglichkeit des weiteren Kompetenzausbaues durch entsprechende Novellierungen. Es entsteht eine paradoxe Situation: Die Krankenkassen als primärer sozialistischer Machtbereich bleiben in ihrer Struktur erhalten, ja sie werden sogar zementiert; ihre Aufgaben, nämlich die Finanzierung der Inanspruchnahme medizinischer Leistungen für die Versicherten wird jedoch im zunehmenden Ausmaß von der öffentlichen Hand übernommen. Es erhebt sich somit die Frage, wozu brauchen wir dann die Krankenkassen?

Es ist völlig klar, warum eine Minderheit der Ärzteschaft gegen eine Kostenbeteiligung ist. Dort, wo die ärztliche Leistung nicht zu sehr den Arzt in Anspruch nimmt, sondern mehr die technische Einrichtung (Röntgen, Labor, physikalische Medizin usw.), wo die ärztliche Arbeitskraft durch den Einsatz von Apparaten und Hilfspersonal vervielfacht werden kann, kurz dort, wo die Medizin umsatzorientiert ist, wird man gegen die Kostenbeteiligung sein. Jede Kostenbeteiligung würde nämlich den Umsatz bremsen.

Vorteile der internationalen Arbeitsteilung möglichst frei zur Entfaltung zu bringen, kam im weltweiten Zollabbau im Rahmen des GATT, im Abbau der mengenmäßigen Beschränkungen im Handels- und Kapitalverkehr im Rahmen der OECD und ihrer Vorgänger zum Ausdruck. Die mangelnde internationale Währungsordnung und insbesondere die Finanzierung der Zahlungsbilanzdefizite durch internationale Geldschöpfung ist eine der entscheidenden Schwachstellen des heutigen Systems. liehst optimalen Einsatz ihrer Arbeitskräfte, ihrer Intelligenz, ihrer Rohstoffvorkommen und ihrer geographischen Vorteile bewirkt.

Ich glaube, daß es auch notwendig ist, in dieser Problematik aus dem totgelaufenen Nord-Süd-Dialog herauszukommen und zu einer Art Vierer- Gespräch zu kommen: Auch die Länder des Ostens und die reichen Erdölländer sollen nämlich gefragt werden, welchen Beitrag, nicht in Waffen, sie zur Lösung der Entwicklungsproblematik zu leisten bereit sind.

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