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Kraft trotzt Brutalität: Gewalt an Frauen als Thema der Wiener Festwochen

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Die Wiener Festwochen widmen sich mit mehreren aufrüttelnden Inszenierungen einem brisanten, jahrhundertealten, internationalen und so aktuellen Thema: der Gewalt an Frauen.

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Die Wiener Festwochen widmen sich mit mehreren aufrüttelnden Inszenierungen einem brisanten, jahrhundertealten, internationalen und so aktuellen Thema: der Gewalt an Frauen.

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Botticellis Gemäldeserie über Nastagio degli Onesti, Rubens Bild „Der Raub der Sabinerinnen“ oder Dantes „Göttliche Komödie“: Die Kunst ist voll von Frauenmorden und Vergewaltigungsfantasien. Erst seit kurzem werden diese beliebten Motive aus Malerei und Literatur hinterfragt.

Auch den Terminus „Femizid“, der Morde an Frauen als misogyne Gewaltdelikte ausweist, gibt es noch nicht lange, in den 1990er-Jahren wurde er einer breiten Öffentlichkeit bekannt. Im selben Jahrzehnt nahm die UN-Sonderbeauftrage für Gewalt an Frauen ihre Tätigkeit auf. In deren Berichten zeigt sich, dass die Zahl der weiblichen Mordopfer von Jahr zu Jahr steigt. 2022 waren es fast 89.000 Femizide weltweit, die Hälfte davon fand im häuslichen Umfeld statt. In Österreich wurden von Jänner bis April bereits acht Femizide und 20 Mordversuche an Frauen gezählt. Der öffentliche Aufschrei ist nach jedem publikgemachten Fall zwar groß, verebbt aber schnell wieder und die Umsetzung politischer Maßnahmen hinkt den Forderungen von Opferschutzverbänden und Frauenhäusern hinterher.

Goodnight Cinderella

Die Wiener Festwochen versammeln heuer eine Reihe von feministischen Künstlerinnen, die sich in ihren Arbeiten mit Gewalt an Frauen auseinandersetzen und die neben persönlichen Schicksalen auch die jahrhundertealten Traditionslinien frauenverachtenden Terrors aufzeigen. Das an politischer Brisanz nicht gerade arme Festwochenprogramm schafft es damit einmal mehr, ein virulentes Thema unserer Zeit vor den Vorhang zu holen.

Den Auftakt machte Carolina Bianchis fesselnde Performance „Die Braut und Goodnight Cinderella“. Nichts für schwache Nerven und auch nichts für Verfechter einer kathartischen Wirkung von Theater, hier wird sicher kein Unbehagen in Erleichterung umgewandelt. „Fuck Catharsis“ ist vielmehr am Auto zu lesen, das im zweiten Teil der Aufführung auf die Bühne geschoben wird und in dessen Kofferraum die von K.-O.-Tropfen betäubte brasilianische Theatermacherin gelegt wurde.

Davor hält Bianchi, die mit dieser Inszenierung schon 2023 in Avignon für Aufsehen sorgte, einen einstündigen Vortrag. Sie zeigt Botticellis Gemälde über die bestialischen Methoden zur Bestrafung einer widerspenstigen Frau, spricht über Künstlerinnen, wie Marina Abramović, Tania Bruguera oder Valie Export, denen sie sich verbunden fühlt und die mit ihren radikalen Selbstverletzungs-Aktionen Gewalt zur Schau stellen, ohne sich dabei in eine Opferrolle drängen zu lassen.

Im Mittelpunkt ihrer Auseinandersetzung steht aber die Künstlerin Pippa Bacca, die 2008 während ihrer als Friedens- und Kunstaktion angelegten Reise per Autostopp missbraucht und ermordet wurde. Als Bianchi von ihr erzählt, hat sie bereits die in Brasilien unter der Bezeichnung „Goodnight Cinderella“ bekannte Vergewaltigungsdroge in ein Glas gerührt und getrunken. Doch auch wenn sie kurz nach der Einnahme nicht mehr selbst sprechen kann, laufen ihre wortgewaltigen Texte weiter im Bühnenhintergrund ab. Sie erzählen von Orten der Gewalt, wie dem mexikanischen Ciudad Juárez und den dort verscharrten Frauenleichen, vom brasilianischen Torwart Bruno Fernandes de Souza, der nach der Haft für die brutale Ermordung seiner Freundin von begeisterten Fans und einem renommierten Fußballklub in Empfang genommen wurde, sowie von der selbst erlebten Vergewaltigung.

Ihre achtköpfige Theatertruppe versprüht derweil Partylaune, übergießt sich mit Alkohol, räumt Leichensäcke, Skelette und Sandhaufen heran, erzählt Witze und singt zu Popsongs. Dazwischen spielen sich kurze Szenen der Gewalt und Begierde ab. Dann wird Bianchis Körper auf die Motorhaube gelegt, ihre Beine werden gespreizt und eine Kamera dringt in sie ein. Ein verstörender Moment, der eine Ewigkeit zu dauern scheint und einen daran erinnert, dass der Faktizität der Gewalterfahrung häufig Zweifel und Misstrauen entgegengebracht werden. Am Ende wacht Bianchi auf einer blumenbekränzten Matratze auf und nimmt noch leicht benommen den langanhaltenden Applaus des Publikums entgegen.

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