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Jede sediste Ehe scheidungsbedroht

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Nach den neuesten amtlichen Er- hebungen ist es im Jahre 1960 zu 8011 Ehescheidungen in Osterreich gekommen. Eine leichte Abnahme gegenfiber dem Jahr 1959 ist zwar er- freulich, darf aber nicht zu den opti- mistischen Erwartungen verleiten, daB die Scheidungen in Osterreich etwa in Zukunft zum Aussterben verurteilt sein wfirden. Ein Blick auf die ersten Nachkriegsjahre zeigt jedoch, daB es zum Beispiel seit 1949 zu einer erheb- lichen Dezimierung der Scheidungen gekommen ist.

Der Ehebruch, der in den ersten Nachkriegsjahren eine erhebliche Rolle spielte, verliert als Scheidungsgrund immer mehr an Bedeutung; gegen- wartig werden deshalb nur noch zwei Prozent aller Ehen geschieden. Das bedeutet noch lange nicht, daB es tat- sachlich immer weniger Ehebrecher gibt. Es wurde schon sehr oft darauf hingewiesen, daB der Aussagewert der nach den Scheidungsparagraphen er- fafiten Ehen sehr problematisch ist, da sich die Grenzen nur allzu leicht ver-

wischen und es kaum mbglich ist, ein ganz klares Bild fiber die tatsachlichen Verhaltnisse zu bekommen. So kann es zum Beispiel vorkommen, daB Ehe- paare, deren Zugehorigkeit zu einer gehobenen Gesellschaftsschichte auch grofiere gesellschaftliche Rficksichten erfordert, es zur Wahrung ihres „Ge- sichtes” vermeiden, sich wegen Ehe- bruches scheiden zu lassen und als Scheidungswerber lieber den § 49, die sogenannten „anderen Eheverfehlun- gen”, geltend machen. So werden Jahr ffir Jahr die meisten Ehen wegen „anderer Eheverfehlungen” geschieden — 1960 waren es rund 7100, das sind 89 Prozent aller geschiedenen Ehen. Fachleute versicherten, daB beim Paragraph 49 der wahre Scheidungsgrund meist nicht einmal den Scheidungsakten entnommen werden konnte; die Skala der Eheverfehlungen reicht hier von der Trunksucht fiber die Vernachlassigung der Unterhalts- pflicht bis zu dem, was in Amerika als „seelische Grausamkeit” bezeichnet wird.

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