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Kein „verflixtes siebentes Jahr”

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Rund 7400 Ehen (92 Prozent) wur- den aus dem Verschulden der Partnet geschieden; abgesehen vielleicht von einigen wenigen Fallen, in denen es der Mann lediglich als seine Kavaliers- pflicht empfand, alle Schuld auf sich zu nehmen, trifft vor allem die Manner die Schuld an den Scheidungen, denn in fast 4500 Fallen wurden der Mann, in nur knapp 900 die Frau und in fast 2000 beide Partner ffir schul- dig erkannt. Nur knapp 650 Ehen wurden ohne Schuldausspruch geschieden, wobei als haufigster Grund „Aufl6sung der hauslichen Gemeinschaft” ange- geben wurde. In diesen Fallen enthfillt ein Blick auf den letzten gemeinsamen Aufenthaltsort der geschiedenen Paare zumeist Flfichtlingsschicksale. Es sind oft Ehen, die daran zerbrachen, daB dem einen Ehepartner die Flucht in die Freiheit gelang, die der andere nicht ergreifen konnte oder wollte.

Es Fallen aber auch haufig g’e- scheiterte Ehen zwischen Osterreiche- rihnen firid Ati’gehorigen def ehemali- gen Besatzungsmachte darunter. Der oft wiederkehrende lakonische Hin- weis: „ein gemeinsamer Aufenthaltsort hat niemals bestanden”, kenn- zeichnet die krassen Bedingungen, unter denen manchmal das Wagnis einer Ehe auf sich genommen wurde.

Das schon sprichwortlich gewordene siebente „gefahrliche” Ehejahr wird von der Scheidungsstatistik nicht be- statigt. Die durchschnittliche Ehedauer verkfirzte sich von 1959 auf 1960 um ein Vierteljahr und betragt derzeit 9% Jahre.

Die „Scheidung.ssucht” der Oster- reicher ist, obgleich die 30- bis 40jah- rigen das groBte Kontingent bilden — das durchschnittliche Scheidungsalter der Manner betragt 3814, das der Frauen 34% Jahre —, dennoch an kein bestimmtes Alter gebunden. Es liefien sich zum Beispiel ein Mann im 85. Le- bensjahr und zwei knapp 78 Jahre alte Frauen scheiden, ebenso aber drei Manner mit 19 und drei Frauen mit 17 Jahren, die Enkel der altesten Ge- schiedenen sein konnten.

Fruh gefreit — bald bereut

Die gegenwartig relativ g e r i n g e Stabilitat der Frfihehen zeigt sich in der Tatsache, daB 665 Manner und 2443 Frauen noch nicht einmal ihre GroBjahrigkeit erreicht hatten, als ihre Scheidung ausgesprochen wurde. Gerade diese Frfihscheidungen sollten am meisten zu denken geben. Wenn heute im allgemeinen jfinger geheira- tet wird als vor hundert Jahren, ist dies nicht verwunderlich, denn von Arzlcn, Psychologen und Soziologen wurde schon wiederholt fibereinstim- mend festgestellt, daB die heutige Jugend p h y s i s c h viel frfiher reif sei, als dies in frfihereh Zeiten jemals der Fall war, aber, und darin liegt wohl ein Hauptmotiv ffir die geringe Dauerhaftigkeit der heutigen Frfihehen, daB die psychische Reife mit der korperlichen nicht Schritt halt, daB also noch ein halbes Kind ist, was sich rein auBerlich als junger Mann oder junge Frau prasentiert. Frfihehen waren, wenn auch in geringerem Aus- rnaB, schon frfiher fiblich. Der Unter- schied zur Gegenwart liegt wohl groBtenteils in der Verschiedenheit der

Voraussetzungen von damals und jetzt. In einer vorwiegend durch patriarcha- lische Gesichtspunkte bestimmten Epoche nahmen in erster Linie die Eltern auf die Wahl des Ehepartners EinfluB und sorgten damit auch gleich- zeitig fur die wirtschaftlichen Grund- lagen der kfinftigen Ehe, eine Vor- sorge, die sich bei der damaligen Be- rufslosigkeit der Madchen als fiberaus notwendig erwies. Frfiher scheinen die dauerhafteren Vernunftehen fiber- wogen zu haben, wahrend heute viele Ehen — und nicht zuletzt ein GroBteil der Frfihehen — auf einem Augen- blicksgeffihl, das ffir die „groBe Liebe” gehalten wird, aufgebaut werden. Es kommt noch hinzu, daB es frfiher eine Scheidungsmoglichkeit praktisch fast fiberhaupt nicht gab und selbst, als die Ehescheidung gesetzlich sanktioniert wurde, ihr etwas Ehrenrfihriges und Diskriminierendes anhaftete, das man nach Tunlichkeit zu vermeiden trach- jete, um sich nicht offentlich blofi- stellen zu mfi’ssen.

Damals wie heute gilt, daB sich alle diese Erwagungen nur auf diejenigen beschranken, die sich glaubensmaBig nicht streng gebunden ffihlen, wahrend es fur die an ihren Glaubensgrund- satzen festhaltenden Katholiken keine Zweifel an der Unloslichkeit der Ehe gibt.

Der Anreiz der leichteren Trennungs- moglichkeit

Es mag sein, daB die Haufigkeit der gegenwartigen Scheidungen unter an- derem auch ein Ausdruck der groBe- ren Offenheit und der, im Vergleich zu frfiher, geringeren Empfindlichkeit ffir das, was die Umgebung darfiber denkt und spricht, ist, denn es ist durchaus vorstellbar, daB Ehen, die seinerzeit alles andere als glficklich waren und nur vor allem zur Wahrung des gesellschaftlichen Rufes aufrecht- erhalten wurden. heute unweigerlich mit einer Scheidung enden wfirden.

Durch die heutzutage sehr verbrei- tete „moderne”, um nicht zu sagen laxe Eheauffassung und die leichtere Trennungsmoglichkeit wird die Stabilitat der Ehe an sich schon sehr gefahr- det. Diese Gefahrenmomente verstar- ken sich ffir die Frfihehen. In einer Zeit, in deren hektischer Hast nicht einmal die Erwachsenen immer den ethischen Wert einer Ehe erfassen konnen, in der oft die Sucht nach Geld, Besitz und Luxus hoher bewer- tet wird als das Streben nach guten, menschlichen Beziehungen zum Nach- sten, nimmt es nicht wunder, wenn die psychisch noch nicht gereiften Men- schen sich ihrer Verantwortung inner- halb einer ehelichen Gemeinschaft noch viel weniger bewuBt werden als die Erwachsenen, die ihnen darin oft auch gar nicht Vorbild sind. Der Be- griff der Ehe ist ffir viele ganz junge Menschen zunachst nur eine schone Illusion, die sich spater aber im Ver- lauf des Ehealltags nur allzu rasch ver- fluchtigt. Was bleibt, ist dann vor- zeitige Enttiiuschung, Verbitterung, Uberdrufi und Ablehnung des Partners, der an alien diesen MiBstanden Schuld zu sein scheint.

Darfiber, was die jungen Leute dazu bewegt, sich in einem Alter, in dem die meisten anderen entweder noch in Berufsausbildung stehen oder ein Sfu- dium betreiben, mit einer Verantwortung zu belasten, der sie sich spater haufig gar nicht gewachsen zeigen, wurden schon sehr viele Vermutungen angestellt. Die Soziologie betont zum Beispiel die groBe Vereinsamung der heutigen Jugend, wobei es meist un- maBgeblich ist, ob sie in einem wohl- behfiteten Elternhaus, im Kreis mehre- rer Geschwister oder in tristen Ver- hiiltnissen aufwachst, denn gemeint ist die seelische Einsamkeit, von der heute viele junge Menschen befallen werden und die sie, je nach Anlage, Erziehung und Temperament, zu den verschieden- artigsten Handlungen veranlaBt. Diese Vermutung hat viel ffir sich. Der Gegenstand der „groBen Liebe” — Vernunftehen scheiden wohl in diesem frfihen Alter ganzllch aus — ist ja immer der „ideale Partner ’, der ein- zige Mensch, der einetf versteht, und die Verlockung, dieses Ideal nicht nur wenige Stunden in der Woche in einem Cafe, bei einer Tanzunterhaltung, einem Kinobesuch, sondern ffir immer um sich zu haben, ist gewiB sehr groB. Sehr oft mag auch das Streben, „end- lich einmal tun zu konnen, was man will”, sich dem Diktat der Eltern durch eine Flucht in die Ehe, von der man annimmt, sie gewahre einem grofiere Freiheit, mafigebend sein, und so bekennt dann zum Beispiel ein junges Madel nach dem Scheitern ihrer Ehe: „Ich wollte dem Elternhaus ent- fliehen, in dem niemand ffir mich Zeit hatte.”

Berufstatigkeit und Altersunterschied

Waren die Scheidungen anfanglich den hoheren Kreisen und dem Mittel- stand vorbehalten, so hat sich nun das Schwergewicht verlagert: Mehr als die Halfte der 1960 geschiedenen Manner gehoren dem Arbeiterstand an. Von den geschiedenen Frauen waren 59 Prozent berufstatig. Es ergibt sich in alien Jahren, daB es bei Mannern und Frauen besonders „scheidungsanfallige”

Berufe gibt. und zwar sind das alle, die eine verstarkte Kontaktnahme mit anderen Personen erfordern; am hau- figsten tauchen unter den Berufs- bezeichnungen das Fahrpersonal der Verkehrsbetriebe, Reisende, Geschafts- leute, bei den Frauen Friseurinnen und Verkauferinnen auf. DaB auch der Altersunterschied eine wesentliche Rolle spielt, ist selbstverstandlich: in nahezu 2000 Fallen war der Mann jfinger als die Frau — in sieben Ehen sogar mehr als zwanzig Jahre —, bei rund 6000 Ehen war der Mann alter als die Frau, wobei am haufigsten Ehen mit einem Altersunterschied der Partner von l bis 5 Jahren geschieden wurden.

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