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DAS TIEM

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Früher herrschten bei uns die französischen Termini — so sprach man beim Theater von einen „Ensemble”, wenn es eine mustergültige Zusammenarbeit galt, ohne Unterdrückung des einzelnen Schauspielers.

Heute spricht man von einem Team, deutsch ausgesprochen, als schriebe es sich: t-i-e-m.

Romanismen oder Anglizismen schleichen sich sowieso seit eh und je in unsere Sprache hinein, und wir wollen beileibe nicht wieder zu Deutschtümlern werden. Sie schleichen über die Slang-Hintertreppe oder durch das Dossier-Portal. Und so ist das Wort nicht der eigentlich Angegriffene, sondern diejenigen, die es Tag und Nacht im Munde führen, die Leute vom Film und Funk, von der Pseudophilosophie und nun gar auch die up-to-date-Verleger. Und hier müßte endlich das rote Licht aufleuchten, das Stop bedeutet oder Gefahr.

Denn ‘ wo die Technik bestimmend ist urid wo eine Tiem- Afbeit friiehtbririgend seih Vann, sölt es ‘diesem technischen Terminus bleibefi, der atis dem Englischen Spört kommt und eine Mannschaft bezeichnet. Wir wissen vom Fußball, wie gut eine solche Mannschaft aufeinander eingespielt sein muß. Aber Hände weg von der Literatur! Verlage im Stil von Kaufhallen lassen neuerdings ihre jährlichen Romane von mehreren Autoren schreiben. Allerdings gleichen diese Romane von Anfang an sowieso schon Reportagen.

Der Arbeitsgang stellt sich so dar: Der Verleger, ein jovialer jugendlich gekleideter älterer Herr, der in Capri die grellen Farben und kleinen Pullover lieben lernte, gibt dem zeitaufgeschlossenen Tiem der Autoren mit leichter Hand eine Anregung, etwa der Art: „Schreiben Sie doch mal was gegen den Krieg, das zieht immerᾠ” oder: „Wie wäre es mit Kinderlähmung? Immer aktuellᾠ” oder: „Am besten wäre natürlich ein schöner Liebesroman.”

Mindestens einer beißt jetzt an. Der Haken sitzt im Schlund, der Mann am nächsten Tag an der Schreibmaschine und schon beginnt das bestellte Schicksal zu klappern. Das ist schlimmer als der Zwang, mit dem einst Dostojewski und Balzac von der kontemporären Presse zu Fortsetzungen gezwungen wurden. Balzac wenigstens bekam pro Kopf eines jeden Toten eine Extrageldprämie, und so rächte er sich mit zahlreichen Leichen wie ein literarischer Kopfjäger. Dostojewski wurde noch schlimmer gehetzt und geschunden, die Spielschulden im Nacken, und daher ist der Atem seiner Romane auch aus diesem Grunde keuchend Der alte Freund jedoch behaupete steif und fest, der Dichter habe die Spielschulden nötig gehabt, um überhaupt zu arbeiten, denn er habe nur gearbeitet, wenn effektiv kein Geld mehr da war ᾠ

Nun, bei unserem Autor schießen jetzt am Webstuhl der Berechnung die Fäden, ein lockeres Gewebe entsteht, ähnlich der Jute, aus der Säcke gemacht werden. Es wird bei einer zweiten Konferenz dem Tiem vorgelegt. Das Tiem ist unzufrieden. Das Tiem will, daß der Vater in Gefangenschaft kommt und der Sohn davonläuft, daß die Tochter ein „Fräulein” wird und nicht die Mutter, denn man wühlt lukrativ in der letzten Vergangenheit und lebt restaurativ aus den Notzeiten. Jetzt wird aufgetrennt, und wo die Knoten sitzen, wird ein bißchen geschnitten, dann neu geknüpft. Das Gewebe wird dichter und bekommt eine andere, hoffentlich nicht braune Färbung.

Nach vielen Sitzungen des überaus munteren Tiem? sind die Gestalten bis zur Unkenntlichkeit verändert wie bei Filmexpose und Drehbuch, die Schicksale haben eine Metamorphose durchgemacht, daß selbst der Autor sie nicht wiedererkennt. Oder er am wenigsten. Und so vollendet sich der Roman, nach dem das Publikum hungert, wie der Prospekt sagt. Aus der Jute sollte eine feste Leinenbindung werden. Aber es ist ein Fleckerlteppich geworden. Das ist beileibe noch nicht der letzte Zustand. Jetzt kommt die Politur, der Glanz — oder wenn man im Textilbild bleiben will: man macht das Ganze mottensicher. Der Cheflektor, der ein flüssiges Deutsch schreiben kann und ein verhinderter Dichter ist, jetzt darf er sich austoben. Der Beruf des Dichtens rentiert sich nicht mehr und er hat eine Familie mit Hund zu ernähren. In schlaflosen Nächten schreibt er das Ganze um, in eine lesbare Sprache, mit einigen Konjunktivsätzen und poetischen Einschüben, auch Monologen, um den trockenen Illustriertenstil zu heben. Denn dieser Stil, einem dringenden Bedürfnis der immer analphabetischer werdenden Leser folgend, besteht fast nur-noch aus Dialogen, die frühmorgens beim Kaffeetrinken auf Tonband aufgenommen zu sein scheinenᾠ Dialoge, wie sie auch in Expreßzügen, Sommerfrischen und Skiparadiesen geführt werden, wenn nicht in der Kaserne.

Dann ist der Roman fix und fertig. Der Cheflektor auch. Aber man hat vom Drehbuch gelernt, das zwanzig Väter hat und keine Mutter.

Auch Übersetzungen werden schon im Tiem angefertigt, von drei Leuten aufwärts. Es kann alles nicht schnell genug gehen, mit Zeitraffer, im Düsenjägertempo, Mauern und Schallmauern durchbrechend. Denn bei der nächsten Buchmesse müssen mindestens fünfzigtausend neue Titel beisammen sein! Sie sollen das hohe Bildungsnievau des Landes beweisen und den noch nie dagewesenen Rekord erreichen.

Buffon sagte, aber das ist schön lange her. und ein toter Franzose gilt bei uns nichts: „Le style cest homme..

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