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Wenn der Patient von selbst gesund wird...

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Wer geht schon gerne zum Zahnarzt? Fast jeder, wenn er gerade arge Zahnschmerzen hat. Und oft hat schon das Betreten der Zahnarztpraxis eine erstaunliche Wirkung: Die Schmerzen sind wie weggeblasen. Das, „Einbildung” zu nennen, trifft nicht den Kern der Sache. Es mag zwar, laienhaft ausgedrückt, eingebildete Krankheiten geben. Schmerz als Empfindung ist jedoch immer real; ebenso sein Verschwinden.

Noch verblüffender ist der Placebo-Effekt, der oft bei der klinischen Erprobung von Medikamenten beobachtet wird. Bei randomisierten Dop-pelblind-Studien, bei denen eine nach dem Zufallsprinzip ausgewählte Patientengruppe das Medikament, die zweite ein Scheinmedikament (Place-bo) erhält und weder Ärzte noch Patienten wissen, wer welcher Gruppe zugeordnet ist, finden sich meist auch in der Placebo-Gruppe Patienten, bei denen das an sich wirkungslose Medikament einen Effekt hat und deren Zustand sich objektiv bessert.

„Der menschliche Körper ist ein sich selbst steuernder Organismus”, erläutert Christian Adensamer, praktischer Arzt und Ärztekammer-Referent für Alternativ- und Komplementärmedizin. Aus der Sicht der Biokybernetik, die sich mit den Steuerungsvorgängen im Organismus befaßt, sind Krankheiten Regulations-störungen, die durch krankmachende Impulse ausgelöst werden. Therapien sollen helfen, die störenden Impulse auszuschalten und die Selbstheilungskräfte zu aktivieren, sodaß die normalen Regulations- und Rückkopplungsmechanismen im Körper wieder funktionieren können.

Adensamer: „Wenn ein kranker Zahn zu schmerzen aufhört, sobald der Patient die Zahnarztpraxis betritt, dann hat der Körper auf die Information: Jetzt kommt Hilfe!' reagiert.” Auch beim Placebo-Effekt und bei den sogenannten Spontanheilungen wird durch einen - noch nicht definierten -Impuls ein Steuerungsmechanismus in Gang gesetzt, der laut Biokybernetik blockierte Selbstheilungskräfte aktiviert, sodaß der Organismus die Krankheit überwinden kann.

Die Auswirkung von Angst, Aufregung, Streß oder Freude auf Körperfunktionen, etwa den Blutdruck, kennt jeder; daß psychische Faktoren auch die Zahl von Immunzellen im Blut beeinflussen können, bestätigen neuere Forschungsergebnisse der Psychoneuroimmunologie. Im Detail sind die Zusammenhänge zwischen Psyche und Immunsystem noch nicht entschlüsselt; naheliegend ist, daß auch hier Informationen Regulationsprozesse in Gang setzen. „Umso problematischer ist es, einzelne komplementärmedizinische Behandlungsmethoden von vornherein zu verurteilen”, sagt Adensamer.

Viele ganzheitsmedizinische Ansätze sind auch ohne komplizierte biokybernetische Erklärung verständlich; die Bedeutung des Immunsystems - nichts anderes ist mit Selbstheilungskraft gemeint - als überaus wirksamer körpereigener Schutz- und

Reparaturmechanismus ist auch in der Schulmedizin unbestritten. Aber auch Methoden, die schwer nachvollziehbar sind, könnten in den Augen des Biokybernetikers Informationsgehalt für den Organismus besitzen, der Selbstheilungskräfte mobilisieren kann. Auch das Vertrauen des Patienten zum Arzt und zur Therapie spielt dabei mit Sicherheit eine Rolle.

Rechtfertigt das jedoch alle zweifelhaften Therapien bis hin zum Gesundbeten durch einen selbsternannten Heiler? Gewiß nicht. Selbst wenn es manchmal wirken mag es gibt in der Schul- und Komplementärmedizin zum Glück erfolgversprechendere Methoden. Das ist objektivierbar und damit bestimmt eine brauchbare Richtlinie, auch für hilfesuchende Patienten.

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