Verwaiste Mutter hilft todkranken Kindern
Andrea Salzmanns Tochter starb an einem Gehirntumor. Seither kümmert sich die Mutter um Obdach für andere todkranke Kinder und ihre Familien. Das Porträt einer Kämpferin.
Andrea Salzmanns Tochter starb an einem Gehirntumor. Seither kümmert sich die Mutter um Obdach für andere todkranke Kinder und ihre Familien. Das Porträt einer Kämpferin.
Die blau angestrichene Parkbank steht im Vorzimmer. Direkt gegenüber ein gediegener Holzschrank aus einer anderen Zeit. Die Tür zu einem Kinderzimmer ist geöffnet. Plakate sind zu sehen, die an den Wänden hängen. Doch aus dem Zimmer kommt kein Laut. Nicht mehr. In der Wohnung im dritten Bezirk ist es still. Nur Andrea wohnt noch hier. Ihre Tochter Johanna ist nicht mehr da. Sie ist gestorben, vor acht Jahren, an einem Gehirntumor. Die blaue Parkbank mit aufgemalten Wolken erinnert an sie. Diese Parkbank – sie ist keine x-beliebige. Sie ist „die Wolke“, auf der sich Andrea Salzmann und ihre Tochter Johanna oft hingesetzt haben, während der langsamen Spaziergänge an der frischen Luft. Spazierengehen war knapp vor Johannas Tod eine der wenigen gemeinsamen Aktivitäten. „Die Bank wollte ich nach Johannas Tod von ihrem ‚shabby chic‘ befreien und in einer Nacht-und-Nebelaktion schön bemalen. In jener Nacht, in der ich es plante, war schlechtes Wetter. Also habe ich es gelassen und es als Zeichen gedeutet, dass Johanna das nicht wollte“, erinnert sich die 52-Jährige. Sie lächelt, wirkt nachdenklich. Ihr Arm liegt auf der Lehne der Bank, die am Ende Freunde nach Absprache mit dem Magistrat zu ihr brachten. Ihr Blick folgt der eigenen Hand, bleibt auf einer weißen Wolke hängen. Es ist ein stiller Moment und damit ein seltener. Andrea hat Architektur in Graz studiert, arbeitet heute in der Immobilienbranche. Sie lebt intensiv und schnell, jeden Moment scheint sie voll auszunutzen. Sicher wirkt sie in allem, was sie tut, jeder Satz ist gut platziert, direkt, aber einfühlsam. Tatendrang und Lebenslust sind unübersehbar, obwohl ihr der Tod schon einmal sehr nahekam.
Heute wäre Johanna 20 Jahre alt
2011 starb Johanna als Elfjährige. Sie war Reiterin, Tänzerin, Klavierspielerin gewesen. Eines Tages bemerkt Andrea, dass ihre Tochter den Fuß eigenartig hinterherzieht, mitten am Tag müde ist. Mutter und Tochter suchen unterschiedliche Ärzte auf. Die Diagnose lautet schließlich Gehirntumor. Etwa sechs bis neun Monate werden Johanna noch gegeben. Und so kam es auch. Dieses Jahr im Dezember wäre Johanna zwanzig Jahre alt geworden. Den Schmerz bekämpft die Mutter mit Tatendrang. Ein Jahr nach Johannas Tod gründet Andrea mit ihrem Geschäftspartner und zwölf Freunden den Verein Bonsurprise, der Familien von Kindern, die am Wiener AKH wegen eines Gehirntumors behandelt werden und der medizinischen Versorgung wegen von außerhalb oder, wie es oft der Fall ist, aus einem anderen Land nach Wien kommen, Wohnungen zur Verfügung stellt. Die Mieten bezahlt vollends der Verein, der sich mit Spenden finanziert.
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