Umbau in eine Art Großschadenversicherung
Der Tierarzt für den vierbeinigen und der Mechaniker für den vierrädrigen Liebling werden ohne Wimpernzucken bezahlt.
Der Tierarzt für den vierbeinigen und der Mechaniker für den vierrädrigen Liebling werden ohne Wimpernzucken bezahlt.
Es ist typisch österreichisch: Ein ganz wichtiges Problem der Entwicklung unserer Gesellschaft wird verpolitisiert und einem verantwortungslos oberflächlichen Streit unterworfen. Der Blick fürs Wesentliche geht verloren: Merkmal des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts ist die Änderung der Ausgabenstruktur der Haushalte. Früher musste man hohe Einkommensanteile für Ernährung und Bekleidung ausgeben. Heute bleibt viel mehr für Reisen, Information, Sport und Unterhaltung. Eine aus gutem Grund stark wachsende Ausgabenpost der hochentwickelten Gesellschaft betrifft die Gesundheit. Fast banal, es nochmals zu wiederholen - wir werden viel älter und der rasante Fortschritt der Medizin bietet immer mehr und immer aufwendigere Behandlungsmethoden. Trotzdem bleibt der Einkommensprozentsatz, den wir für die Krankenversicherung abzuliefern haben, konstant. Er muss steigen und wird das auch bald. Der Staat, der über diese Mittel disponiert, kann ökonomische Fakten nicht wegzaubern. Wann immer er das aus wahlpolitischen Motiven tut, betrügt er die Bürger. Auch die nun wieder als Stein der Weisen entdeckte Wertschöpfungsabgabe ist eine versteckte Beitragserhöhung - erst zahlen sie die Betriebe, dann alle Konsumenten.
Den Weg der Unehrlichkeit beschreiten wir bei der Finanzierung des Gesundheitswesens seit langem. Die Krankenkassen haben sich ihren Anteil der Krankenhauskosten limitieren lassen. Die Spitalserhalter müssen sehen, woher sie ihr Geld bekommen. Sie knöpfen es den Zusatzversicherten ab, die viel mehr berappen müssen, als der bessere Komfort auf der Sonderklasse wert ist. So entstand schon längst jene "Zweiklassenmedizin", die man vermeiden will - das von Kapazitäten umringte Bett mit der raschen Behandlung erreicht der Zahlungsfähige leichter. Frühere Hausärzte wurden zu Quasiangestellten der Kassen. Ihre Honorierung nach Krankenschein raubt den Anreiz einer intensiven Befassung mit dem Patienten. Jedes Weiterreichen kostet enormes Geld, ebenso der viel zu rasche Griff zum Rezeptblock. Das System ist im internationalen Vergleich nach wie vor gut, zeigt aber immer mehr seine Schwächen. Fachärztliche Überversorgung in den Ballungszentren, Unterversorgung auf dem flachen Lande. Lange Wartezeiten überall. Dringend notwendige Änderungen müssen freilich behutsam erfolgen, denn Bewährtes ist zu bewahren, ebenso ist den heutigen Anforderungen zu entsprechen.
Sparen und Rationalisieren haben sicher Vorrang. Das kann einiges bringen, aber das Problem nicht lösen. Vor allem gilt das für die stets ins Spiel gebrachte Verwaltung: Wollte man die Kosten dafür um ein (unrealistisches) Viertel senken, brächte das eine Gesamtersparnis von weniger als einem Prozent. Ergiebiger wäre es, Überkapazitäten im Spitalsbereich und Mehrfachbefundungen abzubauen. Das alles zu ändern erfordert mühsame Kleinarbeit und ein Forcieren des Kostendenkens, das man bisher sträflich vernachlässigte. Eine Aufgabe liegt vor uns, gegen welche die Pensionsreform eine Kleinigkeit ist. Mutiges wäre zu unternehmen. In der Regierungserklärung heißt es, dass "... ein System von Selbstbehalten ... - unter Ausnahme der sozial Schutzbedürftigen und Kinder - entwickelt werden soll", nämlich bis zu 20 Prozent. Hier klingt ein diskussionswürdiger Weg an, nämlich der allmähliche Umbau in eine "Großschadenversicherung", wie man sie einer zunehmend wohlhabenden Gesellschaft zumuten könnte. Die bezahlt den Tierarzt für den vierbeinigen und den Mechaniker für den vierrädrigen Liebling ohne Wimpernzucken zur Gänze. Aber das scheint bereits nach einem Jahr vergessen. Fast hat man das Gefühl, dass die Reformkraft der Regierung sich hier darin erschöpft, der Krankenversicherung mehr Mittel zu verweigern und sie im eigenen (politischen) Saft braten zu lassen. Ausweg ist das mit Sicherheit keiner.
Der Autor war ÖAAB-Obmann, ÖVP-Generalsekretär und Volksanwalt.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!