Der Kampf des Kindes gegen Schuldgefühle und Angst, wenn die Ehe der Eltern zu Ende ist. von verena mann
Es ist das dritte Wochenende des Monats. Heute trifft die achtjährige Sophia ihren Vater zu einem gemeinsamen Ausflug in den Tiergarten. Zwei Jahre ist es her, dass sich ihre Eltern scheiden haben lassen, nachdem der Vater zu einer jüngeren Frau gezogen war. Seitdem muss die gemeinsame Tochter bei jedem Treffen mit ihrem Vater gestopfte Strümpfe und alte Kleidung tragen: "Der kann ruhig ein schlechtes Gewissen haben", erklärt die Mutter. Sophia belasten das missgünstige Klima sowie der Verlust des einen Elternteils sehr: Sie reagiert mit schulischem Leistungsabfall und Schlafstörungen. So richtig verstehen kann sie das Ganze nicht.
Sophia ist nur eines von mehr als 17.700 Kindern in Österreich, die 2002 mit der Scheidung der Eltern konfrontiert waren. Für viele, insbesondere die Jüngeren, ist die Trennung der Eltern aber kein nachvollziehbarer Akt. Remo Largo und Monika Czernin resümieren in ihrem Buch "Glückliche Scheidungskinder": "Von sich aus käme es dem Kind nie in den Sinn, die Beziehung zu Vater und Mutter in Frage zu stellen. Die Beständigkeit dieser Beziehungen ist für das Kind selbstverständlich wie die Sonne, die am Morgen auf- und am Abend untergeht."
"Ich bin schuld"
Nach Meinung vieler Experten erlebt ein Kind die Trennung der Eltern als einschneidendes Erlebnis: Am meisten hat es in diesem Zusammenhang mit dem scheinbaren Verlust der Elternliebe zu kämpfen. Außerdem fürchtet es, nach der Trennung auch noch von dem verbleibenden Teil verlassen zu werden. Dazu kommen Schuldgefühle, selbst Grund der Scheidung zu sein, denn "Hass und Wut der Eltern bezieht das kleine Kind auf sich selbst", so Largo und Czernin. Erhöht wird der psychische Druck auf das Kind zusätzlich dadurch, dass es oft als Druckmittel missbraucht wird. Wie etwa in Sophias Fall, um den Vater zu bestrafen und ihm zu demonstrieren, welchen Schaden er in der Familie angerichtet hat.
Für Largo und Czernin ist aber eine Scheidung nicht zwingend eine Negativerfahrung für das Kind: Es leidet demnach nur dann unter der Trennung der Eltern, wenn seine Bedürfnisse nicht mehr so befriedigt werden wie vorher.
Jakob ist elf Jahre alt, als seine Eltern sich scheiden lassen und der Vater daraufhin den Kontakt zu seinem Sohn abbricht. Jakob leidet und resigniert: "Der Papa mag mich nicht mehr. Ich bin es nicht wert, dass er sich meldet." Jakobs Verletzungen sitzen tief. Seine Mutter wendet sich an Rainbows, einen österreichweit tätigen Verein, der unter dem Motto "Kinder in stürmischen Zeiten" Scheidungskinder in Kleingruppen pädagogisch und psychologisch betreut. Denn die möglichen entwicklungspsychologischen Folgen im Zuge einer Trennung sind vielfältig: Psychosomatische Erkrankungen wie Bauchschmerzen, Kopfschmerzattacken oder Einnässen, aber auch schulisches Versagen sowie Verminderung von Sozialfertigkeiten sind nicht selten zu beobachten.
"Wir raten den Kindern immer, dass sie den Eltern gegenüber ihre Gefühle ausdrücken - entweder in einem Gespräch oder mithilfe eines Briefes", erklärt Linda Billisich, Fachberaterin der ORF Servicestelle "Rat auf Draht", einer telefonischen Anlaufstelle für Kinder und Jugendliche. Und auch hier ist Scheidung ein großes Thema: "Meistens rufen die Kinder an, wenn sie ihre Eltern streiten hören und das Wort Scheidung schon einmal gefallen ist." Sie seien in so einem Moment verzweifelt, trauten sich aber darüber nicht mit ihren Eltern zu reden, "weil sie meinen, dass diese ohnehin schon genug Probleme mit sich selbst haben". Im Zuge einer Scheidung sei es jedoch wichtig, so Billisich weiter, dass die Kinder ihre Sorgen verbalisieren und den Mut fassen, zu sagen: "Mama, Papa, ich bin auch noch da!"
WEITERE INFORMATIONEN
ORF RAT AUF DRAHT:
Tel.: 147 (österreichweit)
BUNDESVEREIN RAINBOWS:
Tel.: 0316/688670
www. Rainbows.at
BUCHTIPP
GLÜCKLICHE SCHEIDUNGSKINDER
Von Remo Largo, Monika Czernin
Piper Verlag, 2003; 334 S., e 19,90
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