Der Vorgang ist vertraut. Zwei Leute referieren, ihnen gegenüber sitzt eine Schar, die bohrend fragt, nachhakt und nach der dritten Antwort noch immer nicht zufrieden ist. Die Themen: Euro, Agenda 2000, EU-Finanzen, Osterweiterung. Was auffällt: die Präzision der Fragen, das unverblümte "Weiß ich nicht", wenn den Referenten einmal keine Antwort einfällt, die Sachlichkeit, der Ernst. Daß die Vortragenden und Diskussionsteilnehmer vierzehnjährige Schülerinnen und Schüler sind, hat der Zuhörer nach ein paar Minuten vergessen, würde am liebsten mitdebattieren. Den beiden Lehrerinnen, heute auch nur "Publikum" und ungeduldig aufzeigend, geht es sichtlich genauso. "Sensationell" sei das alles gewesen, sagt nachher der Schulleiter, Günter Schmid. Ein gelungenes Experiment.
In der "Sir Karl Popper Schule" - vorerst nur eine einzige fünfte Klasse im Wiedner Gymnasium in Wien - soll eine "ideale Pädagogik" erprobt werden, aufgebaut auf Eigenverantwortlichkeit und selbständigem Arbeiten. Tempo und Leistungsanforderungen sind hoch; schließlich sollen sich hier besonders begabte, bisher "unterforderte" Schüler richtig wohlfühlen.
Die häufigsten Gründe, sich um einen Platz in der Popper-Klasse zu bewerben: "Man kann hier aktiver sein", "Ich habe mich in der früheren Schule gelangweilt" und "Hier kann ich aufzeigen, ohne daß gleich jemand ,Streberin' schreit".
Ein anderes Motiv: scheinbarer schulischer Mißerfolg. "Ich bin in meiner früheren Schule - na ja, nicht rausgeflogen, aber gegangen worden", erzählt ein Schüler. Zum Glück war er selbstbewußt genug, um zu erahnen, daß nicht Über- sondern Unterforderung schuld an seinen Schwierigkeiten war.
Langfristig für alle In anderen Fällen haben Eltern oder Lehrer das Problem erkannt. So landete auch ein scheinbar "schwacher" Hauptschüler in der Hochbegabten-Klasse. Hierher paßt er sichtlich, die Schule hilft ihm beim Aufholen des fehlenden Unterrichtsstoffes. Ein Kritikpunkt am Experiment: Ist "ideale Pädagogik" wirklich nur etwas für Super-Begabte? "Was wir hier erproben, soll langfristig allen zugute kommen", sagt Günter Schmid. Erste Fernwirkungen gibt es schon jetzt, weil alle Lehrer dieser Klasse auch anderswo unterrichten.
Wie überhaupt die Gefahr der "Ghettoisierung" nicht so groß ist wie befürchtet. Schmid: "Anfangs gab es Skepsis und Neid, aber inzwischen hat die Integration begonnen." Die Schulkollegen haben es schnell begriffen - schneller als die Erwachsenen: Im Grunde sind die Popper-Schüler ganz normale Vierzehnjährige. Zumindest, solange sie nicht über die Agenda 2000 fachsimpeln.
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