Trauma Missbrauch Einsamkeit - © Karin Birner

Sexuelle Gewalt vernichtet Gesundheit

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Gewaltopfer leiden meist an traumatischen Folgen und können mit Hilfe und Mitgefühl rechnen - außer sie sind weiblich und sexuell mißhandelt worden.

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Gewaltopfer leiden meist an traumatischen Folgen und können mit Hilfe und Mitgefühl rechnen - außer sie sind weiblich und sexuell mißhandelt worden.

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Vergangenen Freitag prüfte ich an der Universität Klagenfurt. Unter den angetretenen Studentinnen und Studenten war auch eine Frau, die ihre Seminararbeit über die psychische Veränderung einer jungen Frau geschrieben hatte, die von ihrem Lehrherren, einem Friseur, sexuell mißhandelt worden war. "Sie traut sich nicht mehr nach V.", ergänzte die zukünftige Psychologin im Prüfungsgespräch, "denn der Gedanke, ihren Peiniger womöglich auf der Straße zu treffen, verfolgt sie". Ihre abgebrochene Lehre könnte sie nicht fortsetzen, weil jeder Versuch, wieder in den Friseurberuf einzusteigen, neuerliche Erinnerungen an die seinerzeitigen Situationen unentrinnbarer Hilflosigkeit auslöse - ebenso wie der Gedanke an einen Berufswechsel.

Intrusion heißt diese Form von Zwangsgedanken, Zwangsgefühlen, die Menschen hindern, ein "normales" Leben zu führen. Sie gehört zu den klassischen Symptomen des Posttraumatischen Belastungssyndroms (PTSD - Posttraumatic Stress Disorder), und dieses wurde erst im Hinblick auf die "unverständlichen" Leidenszustände von Vietnam-Veteranen wahr- und ernstgenommen und in der Folge wissenschaftlich erforscht. Daß dies der US-Regierung wert erschien, diesbezügliche Forschungen zu finanzieren, erscheint logisch: es sollten ebenso weitere Kritikansätze am Vietnamengagement kleingehalten werden wie allfällige Schadenersatzansprüche (vgl. Judith L. Herman, Die Narben der Gewalt).

Daß im Zuge der Beschäftigung mit diesen "Auffälligkeiten" erkannt wurde, daß auch andere Gewaltopfer, wie Menschen, die als Geisel genommen worden, gefoltert oder "nur" sexuell mißhandelt worden waren, die Katastrophen überlebt oder auch mitbewirkt hatten - wie Polizisten nach Schußwaffengebrauch - denselben Traumafolgen unterliegen, gilt nicht nur in der medizinisch-psychologisch-psychotherapeutisch erfahrenen Fachwelt als unumstößliche Gewißheit - außer die traumatisierte Person ist weiblich und sexuell mißhandelt worden. Denn wenn eine Frau sexuell belästigt oder mißhandelt wird, werden üblicherweise sofort Zweifel laut, ob die Frau nicht nur männliche "Gunstbezeugungen" falsch "gewürdigt" hätte - beispielsweise, wenn die Frau zwangsumarmt wurde; ob der inkriminierte Sachverhalt überhaupt möglich wäre - beispielsweise eine Vergewaltigung, wenn das weibliche Opfer enge Jeans trage; ob die Frau überhaupt die Wahrheit sage - wenn sie etwa behauptet, sich nicht hätte wehren zu können. Schock gilt nicht.

Die "Alltagsmythen" (Roland Barthes) darüber, was "normales" männliches oder weibliches Sexualverhalten sei, basieren noch immer auf den "Männerphantasien" (Klaus Theweleit) vom aggressiv-bestimmenden Mann, der über Frauen und Kinder nach Belieben verfügt. Rechtshistorisch betrachtet zeigt sich die darin, daß erst im Mittelalter der verletzten Frau selbst ein Bußgeld nach Vergewaltigung zugesprochen wurde - vorher hingegen dem Mann, der als ihr Besitzer angesehen wurde, also dem Vater, Bruder, Onkel, Ehemann, denn sexuelle Mißhandlungen galten quasi als Besitzstörung oder Sachbeschädigung. Die Frau wurde nicht als eigenständige Person mit Persönlichkeitsrechten und insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrheit angesehen.

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