Selbstbehalte öffnen Schere der Ungleichheit
Mahnungen, Klagen, Bescheide und die notwendige Datenerfassung werden dieses Gesetz weiter ad absurdum führen.
Mahnungen, Klagen, Bescheide und die notwendige Datenerfassung werden dieses Gesetz weiter ad absurdum führen.
Mit permanenten Klagen über die angebliche Kostenexplosion im Gesundheitswesen suggeriert die Bundesregierung den nationalen Notstand, verunsichert die Bevölkerung und lenkt von den wahren gesundheitspolitischen Problemen ab. Faktum ist, dass Österreich mit seinen Gesundheitsausgaben exakt im Mittelfeld Europas liegt. Was den gerechten und chancengleichen Zugang zu medizinischen Leistungen betrifft, stellt uns die Weltgesundheitsorganisation ein herausragendes Zeugnis aus. Unser Gesundheitssys-tem ist daher trotz bekannter Mängel und Schwächen von hoher Qualität, zielsicher und relativ kostengünstig.
Gesundheit lässt sich jedoch nicht nur mit den Augen von Bilanzbuchhaltern messen. Politische Diskussionen sind von Oberflächlichkeiten wegzuführen und sollten gerade dort Schwerpunkte setzen und Tiefgang erreichen, wo es Menschen am härtes-ten trifft und ihre Ohnmacht am größten ist. Der Ruf nach mehr Eigenverantwortung für unsere Gesundheit übersieht zumeist, dass Krankheiten auch schicksalshaft auftreten und nicht alle Menschen über ihre Lebens-umstände autonom verfügen können. Steigende Selbstbehalte und ein zunehmend privater Finanzierungsanteil an den Gesundheitskosten öffnen hier eine Schere der Ungleichheit, die falls man das so hinnimmt, sehr wenig mit sozialer Einstellung aber auch wenig mit Sachkenntnis und Verantwortung zu tun haben.
Es ist auch gesundheitspolitisch unredlich von kostendämpfenden Maßnahmen zu sprechen, da es sich bei der Verschiebung von öffentlichen zu privaten Finanzierungsanteilen lediglich um eine Umwälzung von Kosten zu den Patientinnen und Pa-tienten handelt, ohne dass dies die Kosten unseres Gesundheitssystems auch nur um einen Schilling reduzieren würde. Studien in der BRD und eine großangelegte Studie in den Niederlanden zeigen zudem keine signifikanten Steuerungseffekte von Selbstbehalten.
Die prinzipiell vernünftige Überlegung einer ausgewogeneren Bilanz zwischen stationärem und niedergelassenem Versorgungsbereich hätte jedenfalls intensiverer Studien und besser vorbereiteter Maßnahmen bedurft. Gerade regionale Engpässe insbesondere bei der Versorgung mit FachärztInnen, zeitlich eingeschränkte Verfügbarkeit medizinischer Versorgung gerade während der Nacht und an Sonn- und Feiertagen, sowie wochenlange Wartefristen bei FachärztInnen zeigen, dass es dazu nicht nur innovativer (Gruppenpraxen, tagesklinische Einrichtungen, flexible Ordinationszeiten), sondern auch budgetärer Investitionen in den niedergelassenen Bereich bedarf. Wie soll dies erreicht werden, wenn die Regierung gleichzeitig dort 1,5 Milliarden Schilling einsparen möchte?
Völlig unverständlich ist die mangelnde Vernetzung medizinischer, sozialer und ökonomischer Überlegungen. Schildbürgerstreichartig werden die Verwaltungskosten bei den Ambulanzgebühren in die Höhe getrieben, wobei die Erwartung von budgetsparenden Steuerungseffekten von der Mehrheit von ExpertInnen nicht geteilt wird.
Allein die Empfehlungen zur Umsetzung von Ambulanzgebüh-ren umfassten bis vor kurzem noch über 60 Seiten. Mahnungen, Klagen, Bescheide, EDV-Umstellung und die notwendige Datenerfassung werden dieses Gesetz weiter ad absurdum führen. Dass ohne Begutachtung und ausreichende demokratische Diskussion kein Wort darüber verloren wurde, weshalb eine ärztlich indizierte Untersuchung und Betreuung an einer fachspezifischen Spezialambulanz, für die es keinen adäquaten Ersatz im niedergelassenen Bereich gibt, mit Gebühren bis zu 1000 Schilling bestraft wird, bleibt unverständlich. Marschieren und durchpeitschen sind keine gängigen gesundheitspolitischen Begriffe und werden zur Gesundung dieses Systems auch keinen positiven Beitrag leisten.
Der Autor ist Facharzt für Hämato-Onkologie und Nationalratsabgeordneter der Grünen.
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