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Stellen Sie sich vor, Sie wären Wolfgang Schüssel und hätten die Aufgabe, einer Stammtischrunde in Niederstinkenbrunn Ihre beste Tat als Bundeskanzler zu verkaufen. Das wäre ganz einfach. Sie müssten nur Bilder vom Taksimplatz in Istanbul verteilen, die prügelnde Polizisten, blutende Demonstranten, Tränengaswolken zeigen. Und dann könnten Sie sich hinstellen und sagen: "Das wollt ich verhindern, dass dieser Polizeistaat einfach so der EU beitritt!“ Man würde Ihnen sicher verständig zunicken und dann wieder kopfschüttelnd die Bilder betrachten.

Tatsächlich ist, was sich derzeit in der Türkei abspielt, Wasser auf die Mühlen derer, die immer schon gewusst haben wollen, dass die Türkei nicht reif für die Union sei. Verantwortlich dafür ist ausschließlich ein Mann, der seine Emotionen beharrlich dort auslebt, wo sie gar nichts verloren haben, nämlich in der Politik. Dieser Mann heißt Recep Tayyip Erdogan und er stellt nicht nur den inneren Frieden seines Landes in Frage. Eine Regierung, die sich zu einem Polizeieinsatz gratuliert, der vier Tote und 5000 Verletzte in zwei Wochen forderte, ist auch auf lange Sicht nicht EU-tauglich. Dass Erdogan für die Proteste auch noch "ausländische Mächte“ verantwortlich macht - diese Art der Paranoia kennt man sonst nur von reinsortigen Diktatoren. So argumentierten Mubarak und Ben Ali - wenn sie sich darüber wunderten, dass ihren Völkern die ständige Unterjochung unerträglich wurde.

Europa kann zwar kaum etwas tun, um die Lage zu verbessern, aber es kann klare Zeichen setzen: Die ohnehin stockenden Beitritts-Gespräche mit Ankara sollten ausgesetzt werden, solange die Unterdrückung anhält. Neue Verhandlungskapitel zu öffnen, wie das derzeit die irische Ratspräsidentschaft plant, würde den Gewaltexzess auch noch belohnen. Die Verbindungen zu den Liberalen in der regierenden AK-Partei sollten gestärkt werden, vor allem das Umfeld des gemäßigten Präsidenten Gül. Die Türkei hat sich in den letzten Jahrzehnten stets auf einem Zug Richtung Zukunft und Europa gesehen. Auf dem Taksimplatz hat Erdogan das Gleis gewechselt. Jetzt fährt der Zug zurück. Höchste Zeit, sich vom Weichensteller zu trennen.

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