Es war einer der letzten öffentlichen Aussagen von Ernst Strasser zu anderen Themen als Lobbying, Korruption und Rücktritt, als er meinte, dass die Türkei "aus heutiger Sicht nicht reif für einen Beitritt“ zur Europäischen Union ist. Das war Anfang März und fand kaum Widerhall. Die Aussage war natürlich auch nicht neu. So etwas hätte man schon aus österreichischem Munde hören können, als der Beitrittsprozess der Türkei noch munter dahinging und von einer weitgehenden politischen und wirtschaftlichen Öffnung des Landes begleitet war.
Dass sich inzwischen sogar die ungarische EU-Ratspräsidentschaft Sorgen um die Pressefreiheit in der Türkei macht, dürfte bei den Adressaten der Botschaft in Ankara wohl ein bitteres Lächeln bewirkt haben.
Wie die Dinge stehen, ist jedenfalls auf europäischer Ebene hinreichend geklärt. "Es gibt eine De-facto-Blockade“, formuliert Hannes Swoboda, der sich im EU-Parlament schon seit Jahren mit der Türkei auseinandersetzt. Inzwischen ist aber das politische "Wording“ der EU-Regierungschefs zumindest vorsichtiger geworden. Deutschlands Angela Merkel, die sich im Jänner im geteilten Zypern aufhielt, vermied zuletzt die Erwähnung des bitteren Wortes "Besetzung“ in Zusammenhang mit dem türkisch besetzten Nordzypern und sprach dagegen von einer Teilung, die sie "emotional sehr gut nachvollziehen“ könne. Auch der Spaziergang in Zyperns Hauptstadt Nikosia führte die Kanzlerin just nicht an den Wachtürmen, Sandsäcken und Stacheldrahtverhauen vorbei, die eine andere keineswegs nachvollziehbare Geschichte erzählen. Jenseits aber der diplomatischen Zurückhaltung ist die Position Europas durchwegs einzementiert, auch wenn die türkische Regierung insbesondere Deutschland immer wieder zum Beistand auffordert. Es wird keinen Beitritt der Türkei geben - nicht nur wegen der blockierten Verhandlungen zu Freiheit und Recht, sondern auch wegen europäischer Vorbehalte. Fürsprecher findet die Türkei noch in London. Der ehemalige EU-Aussenkommissar Chris Patten sieht die strategische Rolle der Türkei als Teil einer "dynamischeren Europäischen Union“ und in ihrer Rolle als militärisch voll funktionsfähiger Staat.
Kontinentaler Mitgestalter
Kein Wunder, dass sich die Türkei in Alternative zur Europäischen Union als neuer Mitgestalter der internationalen Politik versucht. Ein neuer Vermittler zwischen den Konfliktparteien des Nahen Ostens wäre ja auch dringend vonnöten. Doch schafft die Türkei das, wenn Regierungschef Erdo˘gan eine Kampagne nach der anderen gegen Israel reitet?
Mäßig erfolglos versuchte sich die Türkei zuletzt als Vermittler in der Libyen-Krise. Nur widerwillig beteiligte sich die Türkei zunächst an der NATO-Seeblockade gegen das Regime in Tripolis. Die Sorge galt dabei offenbar nicht nur der Sicherheit der mehr als 20.000 Türken in Libyen, sondern auch den Investitionen in der Höhe von 15 Milliarden Dollar, die Ankara mit dem Regime abgeschlossen hat.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!