Viele Eltern stecken ihre Kinder nachmittags in Kurse - ohne zu ahnen, was die Kleinen schon vormittags lernen.
Es gibt Kinder, deren Terminkalender so manche Erwachsene überfordern würde. Nehmen wir etwa Anna. Vormittags besucht die Vierjährige, die auch Clara oder Selina heißen könnte, einen französischen Kindergarten. Nachmittags wird sie von einer ihrer drei Nannys abgeholt und quer durch Wien begleitet: zum Kindertheater, zur musikalischen Früherziehung an die Musikuniversität oder zum Sport. Ganz nebenbei spricht eines der Kindermädchen übrigens chinesisch. Schließlich ist das die Sprache der Zukunft, sind Annas Eltern überzeugt. Umso entsetzter sind sie, als ihre Tochter plötzlich ihr Umfeld zu terrorisieren beginnt: Anna spuckt, zwickt und schlägt mit Stöcken um sich.
Wie viel Förderung braucht ein Kind - und ab wann kommt es zur Überforderung, die sich wie bei Anna durch Aggression äußern kann? "Es ist schwierig, das an einem Stundenausmaß festzumachen“, sagt Birgit Hartel, wissenschaftliche Leiterin des Charlotte Bühler Instituts für praxisorientierte Kleinkindforschung in Wien. "Wenn das Kind einen Kindergarten besucht und seine Fragen von den Eltern beantwortet werden, dann ist in der Regel schon ausreichend Frühförderung gegeben.“ Das Problem bestehe oft darin, dass die Kindergartenpädagoginnen und -pädagogen es nicht schaffen würden, den Eltern ihre Tätigkeiten auch zu vermitteln. "Das Kind selbst erzählt zu Hause nur: Ich habe gespielt. Aber die Vielzahl an pädagogischen Überlegungen, die dahinter stecken, kann nur die Pädagogin den Eltern erklären.“ Das reiche von der Sprachförderung über Impulse für die Sozialentwicklung bis zur Förderung fein- und grobmotorischer Aktivitäten.
Um sich einen Überblick zu verschaffen, was frühkindliche Förderung im Kindergarten umfasst, könnten Eltern im Rahmenplan für elementare Bildungseinrichtungen schmökern, der vom Charlotte Bühler Institut 2009 publiziert worden ist (siehe unten).
Es liegt freilich an den Ländern, die Vorgaben des Rahmenplans auch umzusetzen. Schließlich haben sie die Hoheit über die österreichischen Kindergärten und Krippen, die im Vorjahr von rund 230.000 Kindern besucht worden sind. Die Steiermark habe sich hier vorbildhaft bemüht, weiß Birgit Hartel. Aus jedem Kindergarten sei eine Vertreterin zu Schulungen geschickt worden und habe dann als Multiplikatorin gewirkt.
Schwierige Förderung in großen Gruppen
Das größte Problem bei der Umsetzung der elementaren Bildungsziele seien bislang die Gruppengrößen: Bei Drei- bis Sechsjährigen sollten höchstens 16 bis 20 Kinder von zwei ausgebildeten Pädagoginnen gefördert und betreut werden. Tatsächlich sind oft eine Pädagogin und eine Helferin mit bis zu 26 Kindern konfrontiert. "Das macht das individuelle Eingehen auf die Kinder natürlich schwierig“, so Birgit Hartel. Darüber hinaus werde das Spielen mit unstrukturierten Materialien wie Schachteln oder Klopapierrollen im Kindergarten oft durch Sicherheitsbestimmungen erschwert. "Dabei lernen Kinder in diesem Alter vor allem über das Experimentieren und Entdecken. Doch entdecken kann ich nur dort etwas, wo noch nicht alles vorstrukturiert und aufbereitet ist.“
Die beste Förderung sei ihrer Ansicht nach, mit Kindern ins Gespräch zu kommen: "Ein Nachmittag im Zoo, wo Kinder sehen, riechen, füttern und Fragen über Tiere stellen können, vermittelt ihnen hundert Mal mehr Lernerfahrungen als ein Jahreskurs Biologie.“ Kinder würden dann am besten lernen, wenn etwas für sie von unmittelbarer Bedeutung sei. Chinesischkenntnisse hätten für die meisten Kindern keine Relevanz. Und noch eine Grundregel solle man beherzigen: "Wenn es für die Eltern langsam stressig wird, ihren Nachwuchs von Kurs zu Kurs zu chauffieren, dann wird es auch für ihr Kind zu viel.“
Der Bildungsrahmenplan für elementare Bildungseinrichtungen in Österreich
ist auf der Homepage des Charlotte Bühler Instituts ( www.charlotte-buehler-institut.at) unter "Service/Downloads“ abrufbar.
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