Maskenfall
FOKUSCorona und die Maske: Fleischgewordenes Chaos
In Österreich fallen am 5. März sämtliche Corona-Restriktionen. Begonnen hatte Anfang 2020 noch alles mit einem kleinen Stück Stoff: Wie die Maske zum Politikum wurde – und warum sie so stark spaltet.
In Österreich fallen am 5. März sämtliche Corona-Restriktionen. Begonnen hatte Anfang 2020 noch alles mit einem kleinen Stück Stoff: Wie die Maske zum Politikum wurde – und warum sie so stark spaltet.
Am 25. Jänner 1919 versammelten sich in San Francisco rund 2.000 Ärzte, wütende Bürger und Bürgerrechtler, um an einem Anti-Masken-Treffen teilzunehmen. Die erste Welle der Spanischen Grippe war gerade glimpflich verlaufen. Doch als die Infektionszahlen wieder in die Höhe schossen, beschloss die Stadtregierung, die Maskenpflicht wieder einzuführen. Die Geldstrafe für Verweigerer: 5 US-Dollar.
Stand die Maske noch zu Beginn der Influenza-Pandemie für amerikanischen Patriotismus, so wurde sie bereits in der zweiten Welle zum Symbol für Freiheitsberaubung einer vom Ersten Weltkrieg seelisch und körperlich ausgehungerten Bevölkerung. Obwohl sich die meisten an die Maskenverordnung hielten, hinterließ die „Anti-Mask-League of San Francisco“ ein Echo, das bis heute nachhallt. Woche für Woche gehen Menschen auf die Straße, um gegen die Corona-Auflagen zu demonstrieren. Auch hundert Jahre später bietet die Maske genügend Stoff, um zu spalten. Aber warum ist das so?
Offene Gesichter
Schon der französische Schriftsteller und Philosoph Georges Bataille schrieb in „Masken“, einem posthum erschienenen Aufsatz: „Die Maske ist das fleischgewordene Chaos.“ Denn: „Was sich im Einvernehmen der offenen Gesichter mitteilt, das ist die beruhigende Standfestigkeit der Ordnung, die auf gerodetem Boden zwischen den Menschen eingesetzt wurde. Wenn das Gesicht sich aber verschließt und sich mit einer Maske verdeckt, gibt es keine Standfestigkeit und keinen Boden mehr. Was die Maske mitteilt, sind Unsicherheit und Bedrohung durch Veränderungen, die plötzlich und unvorhersehbar geschehen und so unmöglich zu ertragen sind wie der Tod.“ Diese Bedrohung, die Bataille, ebenfalls Zeitzeuge der Spanischen Grippe, so treffend beschreibt, ist Anfang 2020 über die Welt hinweggefegt und hat zu einer neuen, pandemischen Weltordnung geführt.
Die isolierte Gesellschaft
Jene, die sich rascher an diese neue Ordnung anpassen konnten und vielleicht sogar von ihr profitierten, wurden zu Maskenbefürwortern. Andere, denen die kulturellen und emphatischen Kapazitäten fehlten, schlossen sich wissenschaftsfeindlichen und auf nationale Identitäten bestrebten Gruppen an. Der US-Wahlkampf im ersten Jahr der Pandemie trug diese Spaltung auf die Weltbühne und machte sie besonders offensichtlich. Während Ex-US-Präsident Donald Trump in riesigen Hallen vor tausenden Anhängern über das „China-Virus“ sprach und sich über Maskenträger lustig machte, appellierte Biden an die Vernunft jedes Einzelnen und an den „Schutz unserer Mitmenschen“. Biden wurde in den Medien als der isolierte Herausforderer Trumps bezeichnet. Seine Reden hielt er häufig nur im Beisein vor Kameras und überführte den Wahlkampf somit ins Netz. Selbst bei seiner Siegesrede in Wilmington, Delaware, jubelten ihm hunderte Maskenträger mit US-Flaggen zu. Noch ein Jahr zuvor wäre dieses Bild für westliche Beobachter zutiefst verstörend gewesen.
Doch die Maske gehört mittlerweile auch zum Westen, sagt die Psychotherapeutin Barbara Haid: „Die Maske ist zu einer sozialen Norm geworden“ (siehe Seite 10). Ausgerechnet jetzt aber soll die Maskenpflicht fallen. Ab 5. März ist das Tragen von FFP2-Masken österreichweit nur noch im lebensnotwendigen Handel, in Öffis, Spitälern, Altenheimen und Krankenhäusern verpflichtend. Nur in Wien bleibt die Maskenpflicht wie bisher bestehen.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!