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Reform der Landesstraßen?

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Unter dem Eindruck des sich allmählich anbahnenden Ausbaues der ostalpinen Nord-Süd-Ubergänge sieht es so aus, als ob Niederösterreich — der „Kernraum“ unserer Republik — kein besonderes Interesse an Grundsatzfragen des Straßenverkehrs hätte. Dazu kann gesagt werden, daß das Gefühl in diesem Fall sehr täuscht. Seit 1961 sind nämlich die Landesplaner im stillen Kämmerlein eifrig dabei, die Grundlagen für ein vernünftiges Ausbauprogramm des Landes-straßennetzes zu erarbeiten.

Es mag vielleicht überraschen, flaß ein verhältnismäßig regionales Problem, wie das der Verbesserung der niederösterreichischen Landes-etraßen, als so überragend eingestuft wird. Man muß aber berücksichtigen, daß die durch das Wachstum des motorisierten Verkehrs so bedeutsam gewordene Bundesstraße 1 östlich der Stadt Salzburg nur mehr zwischen Ennsdorf und Kottingburgstall stark frequentiert wird. Die Westautobahn hat mit Ausnahme eben der Strengberge den motorisierten Fernverkehr an sich gezogen und die Bundesstraße 1 zu einer Ader des regionalen Verbindungsverkehrs degradiert.

Im Bundesland Niederösterreich verlaufen aber nicht allein diese beiden Pulsadern des Straßenverkehrs: im Land unter der Enns gibt es insgesamt 13.820 Kilometer Straßen. Noch im Jahre 1959 übernahm der Staat zu den bereits betreuten Bundesstraßen noch 918 Kilometer niederösterreichischer Landesstraßen in seine Verwaltung. Trotz dieser Entlastung hat das Land weiterhin 10.740 Kilometer Landesstraßen (77,8 Prozent aller wichtigen Straßen) zu betreuen. Nun verlangt jedoch der verstärkte motorisierte Verkehr einen zeitgemäßen Straßenzustand. Da eine zufriedenstellende Qualität der Landesstraßen angesichts ihrer außerordentlichen Länge aus finanziellen Gründen in Kürze kaum zu erreichen ist, beschloß die niederösterreichische Landesregierung, eine wissenschaftliche Untersuchung durchführen zu lassen.

Vor mehr als zwei Jahren wurde das österreichische Institut für Raumplanung beauftragt, die Voraussetzungen für eine Neuordnung des Landesstraßennetzes und somit die Grundlagen für ein kommendes Ausbauprogramm zu erforschen. Es soll in diesem Zusammenhang nicht verschwiegen werden, daß es sich hierbei um ein wichtiges finanzpolitisches Problem handelt, da die Zuschüsse aus der Mineralölsteuer nach der Straßenlänge bemessen werden. Gerade auf diesem Gebiet besteht zwischen den Bundesländern eine scharfe Konkurrenz.

Zuerst mußte man sich die Frage stellen, warum Niederösterreich, zum Unterschied von anderen Bundesländern, vor allem von dem ähnlich gestalteten Oberösterreich, so viele Landesstraßen besitzt. Ein Vergleich der einzelnen Teile des Bundeslandes untereinander sowie von ganz Niederösterreich mit den anderen Bundesländern brachte das gar nicht so überraschende Resultat, daß .lie Dichte des Landesstraßennetzes, bezogen auf die Fläche und die Einwohneranzahl, weitaus größer ist als im übrigen österreichischen Staatsgebiet. Die konkreten Vergleichsziffern werden leider schamhaft geheimgehalten. Vor allem das Voralpengebiet sowie Teile des Wald-und Weinviertels besitzen ein besonders dichtes Straßennetz,

Gewiß sind für den notwendigen Erschließungsgrad eines Landesteiles die Geländeformen, die vorherrschende Wirtschaftsart und die Gestaltung der Siedlungen entscheidend. Das Untersuchungsergebnis wies aber folgerichtig auf die wahre Ursache der großen Anzahl niederösterreichischer Landesstraßen hin — die historische Entwicklung. Allzu leicht gestattete das Land Niederösterreich in der Zeit zwischen den Weltkriegen ein Überführen der Gemeindestraßen in die Obhut der Bezirksstraßenausschüsse. Als im Jahre 1938 die Bezirksstraßen zu Landesstraßen gemacht wurden, sah sich Niederösterreich mit dem unlösbaren Fragenkomplex konfrontiert, diese Straßen auch zu pflegen und in zeitgemäßer Weise auszubauen.

Auch in anderer Hinsicht hat die geschichtliche Entwicklung längst die rechtliche Bestimmung überholt. Das heutige Landesstraßennetz ist größtenteils in einer Zeit enstanden, als das Haupttransportmittel noch das Pferdefuhrwerk war. Die Bedürfnisse des heutigen motorisierten Verkehrs sind nun ganz anders geartet. Für ihn haben Länge und Steigung weniger Bedeutung als vielmehr der Straßenzustand.

Nicht zuletzt beeinflußten neben den Umschichtungen in den Verkehrsmitteln die gewandelten Verhältnisse der Bevölkerungsverteilung und Wirtschaftsstruktur die Funktion der Landesstraßen. Die jüngste Bedeutungsveränderung im Nahbereich der Autobahnen haben wir selbst recht deutlich erlebt. Als Voraussetzung für eine Neuordnung des Landesstraßennetzes war in erster Linie zu überprüfen, ob die rechtliche Einstufung überhaupt noch mit der tatsächlichen Verkehrsfunktion übereinstimmt.

Zuerst ermittelten die Raumplaner bei ihren Untersuchungen der Teilgebiete Ybbs-Melk-Scheibbs und Horn-Retz-Drosendorf das Wirt-schaftsgefüge, das Verkehrsaufkommen und die Straßeneignung. Nachdem auch die Gemeinden über ihr Verkehrsaufkommen und über die aus lokaler Sicht gesehene Bedeutung der Verkehrswege befragt worden waren, konnte das Straßennetz nach dem funktionellen Wert eingestuft werden. Es wurde im gleichen Zuge ebenso geprüft, welche der festgestellten Verkehrsfunktionen auf einen einzigen Straßenzug zusammengefaßt werden können.

Diese Einstufung der Landesstraßen hat insofern eine praktische Bedeutung, als man dadurch Nutzen und Dringlichkeit eines weiteren Ausbaues beurteilen kann. Damit ist es künftighin möglich, die nicht allzu reichlichen Budgetmittel für den niederösterreichischen Straßenbau auf die tatsächlich wichtigsten Landesstraßen zu konzentrieren.

Nachdem die bemerkenswerten Ergebnisse aus den beiden Testgebieten zeigten, daß die Praktiker der Landespolitik dadurch brauchbare Unterlagen für ihre Tätigkeit erhalten, wurde kürzlich der Auftrag erteilt, das gesamte niederösterreichische Landesstraßennetz nach dieser gelungenen Methode zu bearbeiten. Innerhalb von nur zwei Jahren sollen nun die Bereiche der acht Straßenbauabteilungen und der 95 Straßenmeistereien untersucht und bewertet werden.

Selbstverständlich ist der Fragenkomplex der niederösterreichischen Landesstraßen mit dem Problem der Hauptdörfer und Gemeindezusammenlegungen eng verknüpft. Die zielstrebige Ausgestaltung des klein-räumigen Straßengeflechtes kann ja viel zur Stärkung der lokalen Zentren beitragen.

Wie man sieht, sind die Niederösterreicher besser als der ihnen vorauseilende Ruf. Augenblicklich herrscht allgemein noch die Meinung vor, das Bundesland im österreichischen Kernraum sei ein wirtschaftlicher und politischer Sonderfall. Die im Gang befindlichen zahlreichen Planungsarbeiten zeugen jedoch davon, daß Niederösterreich aus eigenem kraftvoll bemüht ist, den noch immer bestehenden Abstand gegenüber den übrigen Bundesländern aufzuholen. Einer der unbedingt erforderlichen Schritte in dieser Richtung ist wohl der, daß der historische Ballast nach wirtschaftlichen und sozialen Gesichtspunkten systematisch geordnet wird. Die überzeugenden Ergebnisse der Planungsarbeiten können zweifelsohne nur zu einer baldigen Reform innerhalb der niederösterreichischen Landesstraßen führen. Und das wird sicherlich über die Grenzen Niederösterreichs hinaus Folgen haben.

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