Marseille - Drehscheibe Marseille<br />
Hunderten Literaten, Künstlern und Intelektuellen gelang über Marseille die Emigration, darunter Anna Seghers und ihrer <br />
Familie, Marc Chagall, Max Ernst, Heinrich und Nelly Mann, <br />
Alma Mahler und Franz Werfel.  - © Foto: Getty Images / Gamma-Keystone / Keystone-France

Flucht über Marseille: „Frag nichts. Sag nichts.Geh mit.“

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Im Sommer 1940 flohen in Frankreich Tausende vor der deutschen Wehrmacht. Mittels gesammelter Zeugnisse und Berichte von Emigranten dokumentiert Uwe Wittstock anschaulich die große Flucht der Literatur vor der NS-Verfolgung.

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Im Sommer 1940 flohen in Frankreich Tausende vor der deutschen Wehrmacht. Mittels gesammelter Zeugnisse und Berichte von Emigranten dokumentiert Uwe Wittstock anschaulich die große Flucht der Literatur vor der NS-Verfolgung.

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Mit Hitlers Häschern auf den Fersen flohen im Frankreich des Kriegsjahrs 1940 abertausende Verfolgte vor der Gefahr von Internierung oder möglicher Ermordung. Handstreichartig hatte die deutsche Wehrmacht ab Mai 1940 den Norden des Landes samt Paris okkupiert. Seither drängten zahllose Juden und NS-Gegner in panischer Hast in den militärisch noch unbesetzten, aber von der hitlerfreundlichen Vichy-Regierung des Marschalls Pétain beherrschten Süden.

Aus allen Windrichtungen Frankreichs machten sich die Ausreisewilligen auf den Weg und steuerten sternförmig auf Marseille zu. Dort bahnte sich allmählich eine humanitäre Katastrophe an. Die französische Metropole an der Küste des Mittelmeers galt als das letzte Schlupfloch, durch das die verfolgten Flüchtlinge das Land verlassen konnten.

In den USA schlug Eleonor Roosevelt Alarm. Die First Lady war in vielerlei Hinsicht eine bemerkenswerte Frau. Wie eine Löwin kämpfte die Ehefrau des Präsidenten Franklin D. Roosevelt vom Weißen Haus aus als Journalistin und Initiatorin von Hilfsorganisationen für die Rettung vor allem von Autoren und Künstlern in Europa.

Hilfe aus den USA

Im Sommer 1940 wurde von New York aus eine von einer privaten amerikanischen Hilfsorganisation gesteuerte Rettungsaktion in Gang gesetzt, der es im Verlauf des nächsten Jahres gelang, insgesamt mehr als 2000 verfolgte Schriftsteller, Künstler und Intellektuelle aus Deutschland und Österreich vor dem Zugriff der NS-Behörden zu bewahren.

Die zentrale Rolle eines umfassend einsatzbereiten Organisators kam dabei dem Amerikaner Varian Fry zu, den das Emergency Rescue Commitee (ERC) mit dem Auftrag der Visabesorgung und Fluchthilfe nach Marseille entsandt hatte. Der 1907 geborene Fry war, wie sich sehr rasch zeigte, die beste Wahl für diese Aufgabe: Der ehemalige Harvard-Student hatte im Juli 1935 als Journalist für die New York Times aus Berlin berichtet und auf dem Kurfürstendamm entsetzt eine frühe Gewaltorgie der SA gegen Juden miterlebt.

In Marseille sammelte er eine kleine Schar hochmotivierter Mitarbeiter um sich. Dazu gehörte der als Widerstandskämpfer erprobte Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler Albert O. Hirschmann ebenso wie die Kunsthistorikerin Miriam Davenport oder die junge US-Millionärin Mary Jayne Gold, die dem Team nicht nur mit Tat, sondern auch mit enormen Geldzuwendungen zur Seite stand. Dem aus Wien stammenden Karikaturisten Bil Spira wiederum kam seine Zeichenkunst beim Fälschen dringend notwendiger Dokumente zugute.

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