Integration: Austro-Light-Kultur – und was es wirklich braucht

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Repräsentative Umfragen in Österreich und weltweit zeigen, dass verordnete „Anpassungen“ an eine „Leitkultur“ wenig sinnvoll, die Integrations-Hausaufgaben aber umso größer sind. Ein Gastkommentar.

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Repräsentative Umfragen in Österreich und weltweit zeigen, dass verordnete „Anpassungen“ an eine „Leitkultur“ wenig sinnvoll, die Integrations-Hausaufgaben aber umso größer sind. Ein Gastkommentar.

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Wer den Begriff „Leitkultur“ verwendet, muss sich zunächst darüber im Klaren sein, dass nicht etwa CDU-Politiker wie Friedrich Merz vor 20 Jahren, sondern der Göttinger Politikwissenschaftler Bassam Tibi, liberaler Muslim und ein profunder Kenner des Nahen Ostens, diesen Begriff in seinem Buch „Europa ohne Identität“ (1998) als Erster geprägt hat. Wie die Neue Zürcher Zeitung jüngst richtig feststellte, meinte Tibi mit seiner Idee einer „Leitkultur“ eine inklusive staatsbürgerliche Identität, die sich über gemeinsame Werte definiert. Eine solche Leitkultur sollte auf den Prinzipien der Aufklärung – also Demokratie, Säkularismus, Menschenrechte und Zivilgesellschaft – basieren und im öffentlichen Raum Vorrang vor religiösen Normen haben. Dass sein Konzept später oft auf die Verteidigung von Brauchtum und Folklore reduziert wurde, hat Tibi selbst als Missbrauch seiner Idee scharf kritisiert.

In völliger Umkehr von dem, was Bassam Tibi sagte, meinte die ÖVP: „Wir brauchen einen völlig neuen Zugang, nämlich: Integration heißt Anpassung.“ Doch an welche hiesigen Werte sollten sich ankommende Menschen anpassen? Tatsächlich hat Österreich die entsprechende Expertise für die Forschung zu Themen der internationalen Werte. Der Wiener Politikwissenschaftler Christian Haerpfer ist Präsident der World Values Survey Association, die auch ihr Sekretariat in Wien hat. Er, aber auch andere Expertinnen und Experten wie Paul Michael Zulehner und Regina Polak, sind freilich seitens der Bundesregierung in den jüngsten Leitkultur-Vorstoß nicht eingebunden worden.

Für welche Werte steht Österreich?

Der seit 1981 bestehende „World Values Survey“ (worldvaluessurvey.org) organisiert national repräsentative Erhebungen in fast hundert Ländern, die fast 90 Prozent der Weltbevölkerung umfassen und mit einem gemeinsamen Fragebogen arbeiten. Derzeit umfasst er Interviews mit fast 400.000 repräsentativen Befragten der Welt, natürlich auch aus Österreich – und seine Daten sind frei zugänglich. Wenn Integration Anpassung heißt, müssten sich laut ÖVP die Zugewanderten in Österreich also unter anderem an folgende Wertemuster halten (die Zahl gibt die Zustimmung unter allen Befragten in Österreich an):

  • „Euthanasie“ tolerierbar: 84,1 Prozent
  • Gelegenheitssex tolerierbar: 73,7 Prozent
  • Kein oder wenig Vertrauen in politische Parteien: 73,3 Prozent
  • Kein oder wenig Vertrauen in Kirchen und Religionsgemeinschaften: 61,2 Prozent
  • Kein oder wenig Vertrauen in die EU: 59,5 Prozent
  • Kein oder wenig Vertrauen ins Parlament: 56,2 Prozent
  • Nicht bereit, für Österreich zu kämpfen: 52,89 Prozent

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